Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
einer verirrten Kugel getroffen.«
»Gut. Dann ruf einen der anderen, damit er dich hier vertritt.«
»In Ordnung.« Brian sah Lachlan an, dass dieser sich genauso fühlte wie er: unbehaglich. »Mir gefällt das gar nicht«, sagte er, als beide aus dem Wagen stiegen. »Ich habe ein ungutes Gefühl.«
»Carlos’ Tod geht dir sehr an die Nieren. Mit Sicherheit ist einer der Gründe, warum Drusus ihn umgebracht hat, deinen Glauben zu erschüttern. Du darfst dich nicht beirren lassen.« Welch ein Ratschlag! Wenn Lachlan ihn doch nur selbst befolgen könnte.
Während Lachlan das Gebäude betrat und die Treppe zum zweiten Stock hinaufging, erschien Carlos’ Bild vor seinem geistigen Auge, wie er verbrannt und leblos am Boden lag. Der arme Junge hatte nicht einmal eine Chance gehabt, sich seinen Platz im Himmel zu verdienen. Was bedeutete, dass seine Seele wahrscheinlich zur Hölle fahren würde. Und die Verantwortung dafür lastete auf ihm, Lachlan. Er hatte Carlos der Gefahr ausgesetzt.
Lachlan kontrollierte seinen E-Mail-Eingang an diesem Abend immer wieder. Doch die Nachricht, die er von der Herrin des Todes erwartete und die ihm die Einzelheiten von Emilys letzten Augenblicken enthüllen würde, kam nicht.
Er stand auf, ging zum Kamin hinüber und nahm das
claidheamh mòr
aus seiner Halterung. Sanft strich er über den stumpfen Teil der Klinge über der Parierstange und genoss das Gefühl des kühlen Metalls und der geheimnisvollen Kraft unter den Fingern. Eine anstrengende Übungseinheit würde die Anspannung des Wartens lösen. Schließlich konnte es noch Stunden dauern, bis die Nachricht eintraf – wenn sie überhaupt kam. Wie sollte er sich die Zeit auch sonst vertreiben? Sein Blick wanderte zur Küchentheke. Anselm Bruckers abgeschabte Lederbibel lag auf der Arbeitsplatte aus Granit, genau dort, wo er sie hingelegt hatte, als er wiedergekommen war.
Natürlich war Lesen auch eine Möglichkeit. Vorausgesetzt, er fand den Mut dazu.
Rachel dachte an diesem Abend zweimal darüber nach, ob sie in Ems Zimmer nach dem Rechten sehen sollte. Ihre Tochter hatte sich seit dem Ausflug auf den Jahrmarkt nicht wieder davongestohlen, und einige Stunden zuvor war ihnen beim Abendbrot sogar eine höfliche Unterhaltung gelungen. Sie hatten darüber gesprochen, sich im Kino zusammen den neuen Film mit Ashton Kutcher anzusehen. Es erschien Rachel ein wenig ungerecht, Em nicht zu vertrauen. Aber dann dachte sie daran, wer Drew war. Ein Dämon hielt sich nicht an Spielregeln, und das bedeutete, dass sich Rachel auch nicht daran halten durfte.
Langsam drehte sie den Knauf an Ems Tür und drückte sie lautlos auf. Der Raum war dunkel. Einen Augenblick lang stand Rachel nur da und sog den angenehmen, zarten Geruch in sich auf, der sie umgab: Ems Duft, noch immer ein wenig kindlich, vertraut und beruhigend. Der Boden war übersät mit den üblichen Hinterlassenschaften von Ems alltäglichem Wüten – ausgezogene Kleidungsstücke und Papiere voller Eselsohren, die sie achtlos aus dem Schulordner gezogen hatte. Rachel beugte sich reflexartig hinunter, um sie aufzuheben. Dann fiel ihr die Uhrzeit wieder ein, und sie sah zum Bett. Nur, um es leer zu finden. Rachels Finger wurden taub. Selbst in dem schwachen Lichtschein, der vom Flur hereindrang, konnte sie die zerwühlten Laken sehen, die bauschige, zurückgeworfene Decke … und die Stelle, an der ein schlafendes Mädchen hätte liegen sollen.
Rachel fuhr herum. Das Fenster stand offen, die Jalousie war hochgezogen. In der Dunkelheit konnte sie die Blumenkästen nicht erkennen. Alles, was Rachel sah, waren die Vorhänge, mit denen die Brise spielte und die sachte hinausgesaugt und wieder ins Zimmer geblasen wurden. Eine Lähmung kroch Rachels Arme hinauf und weiter in ihre Brust. Em war fort. Mitten in der Nacht, allein mit Drew.
Mit wild schlagendem Herzen und stoßweisem, gepresstem Atem rannte Rachel aus dem Zimmer und erreichte in Rekordzeit den Telefonapparat in der Küche. Es war bereits nach Mitternacht, doch das kümmerte sie nicht. Sie wählte Lachlans Nummer, schloss die Augen und betete.
Er nahm beim zweiten Läuten ab. »Rachel? Was ist los?«
»Sie ist fort!«
Weitere Erklärungen waren nicht nötig. »Bleib, wo du bist. Ich bin gleich unten.«
Rachel legte auf, wählte eine andere Nummer und rutschte dann von Schwindel befallen am Rahmen der Küchentür hinab. Um die schwarzen Punkte zu vertreiben, die vor ihren Augen tanzten, legte sie den Kopf auf die
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