Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
Knie. Jetzt in Ohnmacht zu fallen war nicht gerade hilfreich. Sie musste sich zusammenreißen.
»Rachel.« Lachlans Stimme war warm, beruhigend und ganz genau das, was die verzweifelte Mutter jetzt hören wollte. Ganz gleich, wie er in die Wohnung gekommen war, Rachel warf sich in seine Arme und ließ sich vollkommen fallen. Sie wollte sich nur noch bei ihm ausruhen, in seinen Armen versinken und den Albtraum ihres Lebens vergessen. Ein Schluchzen entwich ihren Lippen, als sie das Gesicht an den warmen Hals presste – und noch ein Schluchzen und noch eines.
Lachlan hielt sie sanft umfangen, wiegte sie hin und her, ließ sie weinen und beachtete den großen nassen Fleck nicht, der auf seinem Hemd entstand. Als der Tränenstrom schließlich versiegt war und Rachels Weinen in Schluckauf überging, fragte Lachlan ruhig: »Hast du versucht, Emily auf dem Handy zu erreichen?«
»Ja. Es ist ausgeschaltet.«
»Hast du irgendeine Vorstellung, wohin sie gegangen sein kann?«
»Nein.«
Er hob sein Handy ans Ohr. Nach einem Moment meldete sich jemand am anderen Ende der Leitung, und Lachlan fragte knapp: »Wer ist unten?«
Man hörte das heisere Gemurmel der anderen Stimme.
»Ruf ihn an. Emily ist fort.« Dann steckte Lachlan das Handy wieder ein und blickte in Rachels Gesicht. Was er dort sah, veranlasste ihn, ihr einen Kuss zu geben. »Mach dir keine Sorgen, wir finden sie schon.«
»Aber wie?«
»Fangen wir mit ihrem Zimmer an.« Lachlan legte den Arm um Rachel, während er sie den Flur entlangführte. In Ems Zimmer angekommen, schaltete er das Licht ein und sah sich um. »Fehlt hier etwas?«
»Fehlen? Wie meinst du das?«
»Hat sie eine Tasche gepackt, zum Beispiel Kleider mitgenommen?«
Mit der letzten ihr verbleibenden Kraft hielt sich Rachel an der Tür fest und zwang sich, den Raum genau anzuschauen. Das Bett war noch immer herzzerreißend leer. Ems Lieblingspyjama hing nicht über dem Fußende. Auch die Handtasche lag nicht auf dem üblichen Platz am Boden. Eine der Kommodenschubladen stand offen und gab den Blick auf ein chaotisches Durcheinander frei. Doch das war ein derart gewohnter Anblick, dass Rachel nicht sagen konnte, ob es etwas zu bedeuten hatte. Sie hob den Blick. Münzen, Gummibänder und Nagellack lagen noch auf der Kommode verstreut, aber der Bilderrahmen aus Zinn mit dem alten Weihnachtsfoto war verschwunden. Schnell sah sich Rachel um, ob er irgendwo anders stand – aber nein, er war fort. »Grant«, flüsterte sie.
»Wie bitte?«
Rachel schloss die Augen und ließ noch einmal all die Tränen, die Wut und die Enttäuschung Revue passieren, die sie in den letzten vier Jahren immer dann an Em beobachtet hatte, wenn ihr Vater wieder einmal einen Besuch abgesagt hatte. »O mein Gott. Ihr Dad. Du hast mich gefragt, wonach sie sich am meisten auf der Welt sehnt, und das ist … ihr Dad.«
»Du glaubst, sie ist auf dem Weg nach San Diego?«
»Ja.«
»Ruf Grant an.« Lachlan drückte ihr sein Handy in die Hand. »Warne ihn vor, dass Emily vielleicht bei ihm eintreffen wird, und sag ihm, dass er sie bei sich behalten soll, bis wir da sind.«
Rachel blinzelte. »Was soll ich Grant über Drew sagen?«
»Nichts.«
»Aber …«
Lachlans Blick wurde weich. »Nichts, was du sagst, kann ihn wirklich auf Drusus vorbereiten.«
Rachel ließ sich erneut gegen die Wand sinken. Ihr wurde klar, dass Lachlan recht hatte. Was sollte sie sagen?
Hallo, Grant? Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass deine Tochter gleich mit ihrem Dämonenfreund bei dir vorbeischauen wird.
Ja, das würde sicher gut ankommen. Rachel musste sich mit der Hoffnung begnügen, dass Drew nicht daran interessiert war, ihrem Ex-Mann etwas anzutun. Mit erstaunlich ruhiger Hand wählte sie Grants Nummer. »Ich kann einfach nicht glauben, dass das alles wirklich geschieht.« Am anderen Ende klingelte und klingelte es. Aber niemand nahm ab. Rachel begann, Telefone zu hassen. Warum waren die Leute verdammt noch mal nicht zu Hause und gingen ran, wenn es wichtig war? Und wo trieb sich Grant um diese Uhrzeit überhaupt herum? »Er nimmt nicht ab«, sagte sie zu Lachlan. »Einen Anrufbeantworter hat er nicht.«
»Versuch’s weiter. Gehen wir.«
Im Wohnzimmer blieb Rachel stehen, um ihre Handtasche und die Schlüssel mitzunehmen. Beim Blick auf die leise tickende Standuhr hielt sie inne. »Wann sind wir zurück?«
»Die Fahrt dauert ungefähr sieben Stunden. Irgendwann morgen Nachmittag, wenn alles gutgeht.«
Rachels Magen krampfte
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