Wächter der Venus
niemand den ausgetretenen Pfad der vorgeschriebenen Denkweise verließ.
Das höhnische Lachen des Beauftragten bewies ihm, daß Dubois die Situation genoß.
Grands Gedankengänge kamen ihm wieder in den Sinn. Zum erstenmal in seinem Leben erkannte Hardenstein, daß die Menschheit sich auf dem besten Wege befand, in ihrer Entwicklung zu stagnieren, starre Moralbegriffe und Verhaltensregeln zu unantastbaren Heiligtümern zu machen und zu einer riesigen Herde zu werden, die ohne eigene Initiative dem Leitbullen folgte.
Die nächsten Differatorsymbole ließen ihn dieses Problem vorübergehend vergessen.
Berry Grand hatte in einer Höhle oder Felsnische vor einem Gewitter Zuflucht gefunden und startete gerade einen kläglichen Versuch, die Molekularverformungsfähigkeit seines Gastkörpers zu praktizieren.
»Etwas mehr Ausdauer und Optimismus, mein Junge!« flüsterte Hardenstein, als könnte Grand ihn hören.
Aber dann strahlte er. Das war, als Berry Grand darüber nachdachte, warum ihm die Verformung der Molekülverbände noch nicht gelang.
Der Junge kann wirklich unkonventionell denken! durchfuhr es ihn, und er empfand Freude darüber, daß er es gewesen war, der Berry ausgesucht hatte.
Er zündete sich eine neue Zigarette an und verfolgte die nächsten Symbolnachrichten.
Und dann kam der Augenblick, in dem Grand zum zweitenmal einem echten Venusier begegnete – und erneut versagte!
Zusammengesunken saß Hardenstein vor dem Streifen, der nur noch die undeutbaren Impulse von Berrys Unterbewußtsein aufzeichnete. Er ignorierte den Wutausbruch des Sicherheitsbeauftragten und fragte sich, was nun geschehen würde.
*
Das erste, was ich wahrnahm, als ich aus meiner tiefen Bewußtlosigkeit erwachte, waren die Stimmen mehrerer Personen, die sich über ein Problem unterhielten, das ich nicht verstand.
Erst allmählich begriff ich, daß ich weder Stimmen im menschlichen Sinne hörte noch der Unterhaltung von Personen lauschte. Gepanzerte Echsenköpfe tauchten im Wahrnehmungsbereich meiner Radarsinne auf, und die Empfänger des Venusiergehirns, das ich »besaß«, übermittelten mir die gesendete Unterhaltung zwischen mehreren Venusiern.
»… ist auch mir nicht bekannt, daß außer uns andere Gruppen angekommen wären«, verstand ich.
»Sie haben einen bestimmten Verdacht, nicht wahr?«
»Ja, ich glaube nämlich, daß nicht er, sondern wir die Ausnahme sind, mein Lieber.«
»Das ist …«
Die Unterhaltung brach jäh ab.
Ich sah, daß alle Echsenköpfe sich mir zuwandten. Offenbar hatten die Venusier erst jetzt entdeckt, daß ich wieder zu mir gekommen war.
Dann erhob sich erneut eine »Stimme«.
»Ich denke, er wird uns verraten können, was …«
Eine andere Stimme drängte sich schmerzhaft intensiv dazwischen:
»Du wirst schön still sein! Er braucht nichts über uns zu wissen. Wir müssen uns jedes Wort überlegen, bevor wir es senden.«
Ich wunderte mich darüber, daß die Unterhaltung für mich so klar verständlich war. Zwar hatten die irdischen Semantiker behauptet, alle Verständigungselemente der Venusier zu kennen, aber bisher war mir das sehr zweifelhaft erschienen, denn die gefangenen Molekularverformer, die ich auf der Erde gesehen hatte, waren allesamt kurz nach der Festnahme wahnsinnig geworden. »Schizophrenie« hatten die Psychologen dazu gesagt. Schizophrenie sollte so etwas sein wie das Denken auf zwei unterschiedlichen Ebenen, etwas, das sich so weit vom Normalen entfernte, daß es für einen geistig Gesunden unverständlich geworden war.
Aber vielleicht befand ich mich ebenfalls schon in diesem Stadium des geistigen Verhaltens. Schließlich war mein menschlicher Geist einem absolut artfremden Gehirn aufgeprägt worden, was nach den Gesetzmäßigkeiten der Allgemeinen Dialektischen Synthetik niemals ein einseitiger Prozeß sein konnte, sondern nur ein wechselseitiger.
Aber sei es, wie es sei, dachte ich erleichtert, auf jeden Fall würde es verhindern, daß ich mich bereits nach den ersten Sätzen verriet.
Lediglich die letzten Fetzen der Diskussion, die ich noch mitbekommen hatte, beunruhigten mich. Man hatte mich als Fremden eingestuft.
Aber schließlich: Warum sollte ausgerechnet auf der Venus einer den anderen kennen!
»Wie heißt du?« fragte einer der Venusier.
Ich versuchte, den »Sprecher« zu identifizieren. Es gelang mir jedoch nicht. Doch im Laufe der Zeit würde ich schon noch dahinterkommen, wie das bei den Bewohnern der Venus funktionierte.
»Ich … ich
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