Wächter der Venus
Gefängnis zurückgelassen haben sollte.
Der Gang draußen kam von links unten und führte mit mäßiger Steigung nach rechts oben. Ich vermutete, daß ich tiefer ins venusische Höhlensystem gelangen würde, wenn ich mich nach links wandte. Aber ich hatte kein Interesse daran, noch einmal in Gefangenschaft zu geraten. Also wandte ich mich nach rechts.
Nach wenigen Minuten gelangte ich in eine große, flache Höhle. Eine Felssäule von mehreren Metern Durchmesser wuchs aus der Decke und verschmolz mit dem Boden: ein Stalaktit.
Es gab noch mehr Stalaktiten in der Höhle, ein Zeichen dafür, daß sie natürlichen Ursprungs war. Aber kein anderer erregte meine Aufmerksamkeit so sehr wie der mittlere – und zwar nicht nur wegen seiner Größe, sondern weil das hektische Rattern meines Detektors mir verriet, daß er zum größten Teil aus Metall bestand!
Plötzlich hatte ich es nicht mehr so eilig wie zuvor.
Dies hier war die erste große Entdeckung, die mir auf der Venus gelungen war: der Beweis dafür, daß die Venusier über eine Technik verfügten, die die Metallgewinnung und Verarbeitung kannte.
Ich vermutete, daß der ganze Stalaktit nichts anderes als Tarnung für einen Geheimgang darstellte – und die kleineren Stalaktiten ebenfalls, denn auf dieser Trockenwelt konnte es keine Tropfsteinhöhlen geben.
Im nächsten Augenblick erkannte ich die Unlogik meines Gedankenganges.
Wenn es auf der Venus keine natürlichen Tropfsteinhöhlen gab, wie konnten die Venusier dann hoffen, einen Geheimgang hinter einem Gebilde verbergen zu können, den jeder andere Venusier als künstlich erkennen würde?
So unwahrscheinlich es mir noch vor kurzem erschienen wäre, ich mußte mich damit abfinden, daß Hitze, Trockenheit und Sandmeere nicht typisch für die gesamte Venus waren, sondern nur für die Oberfläche des Planeten.
Ich kroch näher an den Stalaktiten heran und tastete mit dem Maul die milchig glitzernde Wand ab.
Obwohl ich es nicht anders erwartet hatte, erschrak ich doch, als sich plötzlich ein meterhoher Querspalt öffnete. Dahinter lag das Innere einer Röhre, deren Durchmesser gerade ausreichen würde, einen Venusier aufzunehmen.
Ich war im ersten Schreck ein Stück zurückgewichen. Sofort hatte sich der Querspalt wieder geschlossen.
Erneut kroch ich näher und tastete mit meinem Maul an der Wandung entlang. Diesmal bemerkte ich die winzige, rotbraun gefärbte Stelle, die den Öffnungskontakt auslöste.
Ich steckte den Kopf in den Spalt und registrierte verwundert, daß es weder eine Rampe noch eine Treppe in der glatten Röhre gab. Dafür hatte ich das Gefühl, mich in einem mit großer Geschwindigkeit abwärts fahrenden Lift zu befinden.
Sobald ich den Kopf zurückzog, hörte dieses Gefühl auf.
Seltsamerweise zweifelte ich von Anfang an nicht daran, daß ich es mit einem Antigravlift zu tun hatte. Oder vielleicht war das gar nicht so seltsam. Bei meinem Onkel auf dem Mars hatte ich Gelegenheit gehabt, eine ganz besondere Gattung von Science Fiction zu lesen, Romane, die von den Flügen menschlicher Raumfahrer zu anderen Sonnensystemen handelten und die deshalb vom Sicherheitskomitee der Erde auf den Index für verbotene Schriftwerke gesetzt worden waren.
Dort kamen immer wieder Liftschächte ohne Kabinen vor; fremde Intelligenzen aus fernen Sonnensystemen benutzten sie mit Hilfe von Antischwerkrafterzeugern, die im Innern der Schächte absolute Schwerelosigkeit hervorriefen.
Ich hatte diese Beschreibungen immer mit großer Spannung gelesen, wenn mein Onkel mir auch versicherte, daß wir Menschen noch lange nicht soweit kommen würden.
Und nun stand ich vor einem dieser geheimnisvollen Gebilde – und ich hatte nicht einmal das Sonnensystem verlassen müssen, um es zu finden.
Die Versuchung war groß, den Lift sofort auszuprobieren.
Ich hatte jedoch schlechte Erfahrungen mit den Venusiern gemacht, und deshalb beschloß ich, zuerst einmal meine Freiheit wiederzugewinnen, bevor ich mich für die venusische Technik näher interessierte.
Ich kroch zurück, und die Tür schloß sich automatisch wieder.
Nach ungefähr einer Stunde irdischer Zeitrechnung erreichte ich den Höhlenausgang, den ich während des Gewitters für eine Felsnische gehalten hatte.
Äußerst vorsichtig bewegte ich mich auf die Stelle zu, an der der Felsblock hätte liegen müssen.
Er war verschwunden, und als ich den Kopf aus der Höhle steckte, sah ich ihn wenige Meter vom Ausgang entfernt in dem flachen Sand liegen, der
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