Wächter der Venus
Die Venusier wollten sich eben eine Welt sichern, auf der sie besser leben konnten als auf ihrem höllischen Heimatplaneten. Aber dann tat er es doch nicht. Ihm war zu Bewußtsein gekommen, daß Catos letzte Bemerkung sich nicht auf das Vorgehen der Venusier an sich, sondern auf die Art und Weise ihres Vorgehens bezog.
»Sehen Sie«, sagte der Chefwissenschaftler, »es dürfte den Venusiern nicht schwerer fallen, die gesamte Menschheit auszurotten als sie ihrer Technik zu berauben. Wenn sie dennoch den komplizierten Weg wählen, müssen sie sich etwas dabei gedacht haben. Möglicherweise brauchen sie einen gewissen Grundstock von Menschen, die sie dann nach ihrem Willen formen können.«
»Aber was wollen sie mit einer Herde primitiver Nachkommen der heutigen Menschheit anfangen?« fragte Hardenstein.
Sergius Cato erhob sich.
»Vielleicht überhaupt nichts, mein lieber Hardenstein …«
Mit langen Schritten verließ er den Tankraum.
Der Psychologe blickte nachdenklich auf die Tür, durch die der Chefwissenschaftler verschwunden war. Dessen letzte Bemerkung erschien ihm so rätselhaft wie ein delphisches Orakel.
»Was, um Himmels willen, soll das alles, wenn sie wirklich nichts mit ihnen anfangen wollen?« murmelte er verstört.
Er blickte hoch, als der Enzephalograph einen Summton erschallen ließ, das Zeichen für eine Änderung in der Denkrichtung des überwachten Geistes.
Die Projektorröhre flimmerte in einem Farbmuster, das für jeden Laien verwirrend und nichtssagend zugleich gewesen wäre. Der Psychologe las daraus eine ganze Geschichte ab.
Berry Grand schien bestürzt zu sein, sein Geist bewegte sich dicht am Rand des Wahnsinns. Doch dann beruhigte sich das Farbenspiel wieder, eine gelbe Linie zitterte sekundenlang und leuchtete dann unbeweglich vom Schirm.
Professor Hardenstein riß sich von dem faszinierenden Anblick los und wandte sich dem Symbolstreifen zu, den der Gedankendifferator ausspie.
Das weiße, von blaugrünen abstrakten Zeichen bedeckte Band glitt ruckhaft über das Milchglas des Beobachtungstisches und verschwand im Dekodierer, der die von einem Elektronengehirn umgeformten Impulse eines weit entfernten Geistes in die englische Schriftsprache übersetzte.
Andreas Hardenstein kümmerte sich nicht um die Übersetzung. Alle diese komplizierten Geräte, die als Ganzheit arbeiteten, waren von einem Team entwickelt worden, das unter seiner Leitung gestanden hatte. Er kannte jedes einzelne Symbol besser, als ein Vater seine Kinder je kennenlernte. In seinem Gehirn verwandelten sie sich in lebende Wesen, die ihm weit mehr erzählten, als durch die nüchterne Schriftsprache jemals ausgedrückt werden konnte.
Berry Grand war vom Sandsturm auf einer kahlen Felsebene abgesetzt worden. Er hatte sich von dem Schock der Erkenntnis erholt, daß er keine Orientierungsmöglichkeit mehr besaß. Nun kroch sein synthetischer Venusierkörper auf das scheinbar erstarrte Sandmeer zu, wo sich ihm bessere Fortbewegungsmöglichkeiten boten.
»Der Junge denkt zuviel!« quetschte Hardenstein zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor. »Wenn er so weitermacht, wird er sterben, bevor er auch nur einen Anfangserfolg erzielt!«
»Was ist mit Grand los?« fragte eine unangenehme Stimme hinter ihm.
Der Psychologe wandte sich nicht um. Er wußte auch so, daß Dubois hinter ihm stand. Insgeheim haßte er den Sicherheitsbeauftragten für die Geringschätzung der Persönlichkeit Berrys, die aus seinem ganzen Benehmen sprach.
Er winkte ab, und Dubois’ Schritte entfernten sich nach rechts, wo der Klartext von Grands Gedankenimpulsen aus dem Dekodierer kam.
Kurz darauf blickte er verblüfft auf die Symbole.
»Der Bursche entwickelt eine Philosophie, die einem erfahrenen Fremdrassenpsychologen alle Ehre machen würde – wenn wir auf der Erde in unserer Anmaßung jemals daran gedacht hatten, eine derartige Wissenschaft zu entwickeln!«
»Was faseln Sie da?« rief Denis Dubois. »Meinen Sie vielleicht das wirre Zeug, das dieser Knabe über die Moralbegriffe der Venusier denkt?«
Der Psychologe spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.
»Das ›wirre Zeug‹ ist besser als alles, was das Sicherheitskomitee seit seinem Bestehen je von sich gegeben hat!« knurrte er.
Im nächsten Augenblick biß er sich auf die Zunge.
Diese Bemerkung würde ihm eine Untersuchung vor dem Loyalitätsausschuß des Sicherheitskomitees einbringen. Die mächtigste Organisation der Erde hatte bisher noch immer dafür gesorgt, daß
Weitere Kostenlose Bücher