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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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Erwachen gewesen, der Augenblick, in dem die kalte Umklammerung seiner Nachtmahre von ihm abgeglitten und Andion aus der fiebrigen Schwärze seiner Ohnmacht emporgetaucht war – und das Gespräch mit Maifell, das sich daran angeschlossen hatte.
    Obwohl er sich lieber von seinem Ast in die Tiefe gestürzt hätte, als dem Wortwechsel der beiden zu lauschen, hatte er alles mit angehört, Andions ängstliche Fragen und die Antworten Maifells, und er hatte die Gefühle gespürt, die sie dabei empfunden hatte. Die sie auch jetzt noch empfand, während sie Andion zärtlich in ihren Armen hielt und seine Tränen den Stoff ihres Kleides tränkten.
    Neanden schloss die Augen und atmete tief durch, versuchte, in der kühlen Morgenluft Klarheit und Trost zu finden. Andion wusste es vermutlich noch nicht, konnte es wegen all der Qual, die ihn erfüllte, nicht spüren, doch er war nicht mehr allein. Er würde nie mehr allein sein. Maifell hatte ihn erwählt. Sie hatte in seine Seele geschaut und dort einen Mann gefunden, der ihr ein Partner sein konnte.
    Neanden lächelte traurig. Er konnte Andion nicht einmal dafür hassen, nicht nach all den Tagen, während derer die Wogen seines Schmerzes und seiner Verzweiflung über ihn hinweggerollt waren und er gespürt hatte, wie sehr der Junge sich selbst zerfleischte, wie sehr das Joch der Schuld, das Ionosens Opfer ihm aufgebürdet hatte, auf seiner Seele lastete. Beschämt hatte er sich eingestehen müssen, dass, wäre er an Andions Stelle gewesen, er das Gewicht dieser Schuld vermutlich nicht hätte tragen können.
    Es gehörte Mut dazu, nicht vor der Wahrheit davonzulaufen. Er wusste das besser als jeder andere. Vielleicht hatten die Wesen des Kleinen Volkes Andion deshalb so begeistert im Hain empfangen. Weil sie seine innere Stärke gespürt hatten, die ihn selbst in seinem tiefsten Schmerz noch aufrecht hielt, und seine bedingungslose Bereitschaft, denen, die an ihn glaubten, niemals Schande zu bereiten. Der Junge hatte alles verloren, Ionosen, seine Mutter, und dennoch war er nicht gebrochen, verlieh die Trauer seiner Seele eine Tiefe, die er bisher nicht an ihm wahrgenommen hatte. Vielleicht war es das, was Ionosen von Anfang an gesehen hatte. Hoffnung.
    Noch einmal holte Neanden tief Luft, dann streckte er seinen Rücken durch. Er konnte den Weg nicht erkennen, den sein Vater seinem Volk gewiesen hatte, aber er war bereit, den ersten Schritt in die Dunkelheit zu wagen. Er würde an Maifells Seite sein – und an Andions.

19. Kapitel

    Obwohl er nun wieder bei Bewusstsein war, schritt seine Genesung weit zögerlicher voran, als Andion gehofft hatte. Noch immer strengte ihn selbst die kleinste Bewegung an, als hätten sich King Kong und Godzilla auf seinen Armen und Beinen zu einem Schläfchen niedergelassen, und er fühlte sich so zittrig und schwach wie ein hundertjähriger Greis, der gerade den Mount Everest erklommen hatte und sich nun anschickte, ohne Verschnaufpause auf der anderen Seite wieder hinunterzuspurten. Tag um Tag verstrich, ohne dass sich an seinem Zustand merklich etwas änderte, und hätte nicht Maifells beständige Gegenwart ihn immer wieder aus seiner düsteren Ungeduld und Verzweiflung herausgeholt, wäre ihm diese Zeit wohl gänzlich unerträglich geworden.
    Doch vielleicht war es vermessen gewesen, mehr zu erwarten. Ogaires mörderischer Wille hatte sich tief in ihn hineingebrannt, hatte seinen Körper und seine Seele gleichermaßen mit seiner Dunkelheit besudelt. War es da verwunderlich, dass die Wärme und das Licht nur langsam und widerwillig zu ihm zurückkehrten? Selbst mit Maifells Hilfe war es denkbar knapp gewesen. Und es war noch längst nicht sicher, ob die Dunkelheit wirklich vollständig besiegt worden war.
    Er hatte Maifell noch nichts davon gesagt, wollte sie nicht noch mehr mit seinen Ängsten und Kümmernissen belasten, als es ohnehin bereits der Fall war, aber seine andauernde Schwäche und Hilflosigkeit war nicht das Einzige, was ihm zunehmend Sorge bereitete. Immer öfter, wenn er in seinem Bett lag und in ohnmächtiger Wut gegen die raue Holzdecke seines Krankenzimmers starrte, war ihm, als lege sich ein Schleier vor seine Augen, ein eigenartiger, silbrig schimmernder Nebel, der von winzigen, hin und her huschenden Lichtfunken durchsetzt war. Meist verschwanden die seltsamen Blitze nach wenigen Sekunden von allein, und sein Blick klärte sich, wenn er fest die Augen zusammenkniff, dennoch grub sich die Furcht mit jedem weiteren Mal,

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