Wächter des Elfenhains (German Edition)
wo es geschah, tiefer in sein Herz.
Was, wenn Ogaire am Ende doch gesiegt hatte? Wenn er ihm eine Wunde zugefügt hatte, die sich niemals wieder schließen ließ, und die Verderbnis seines Vaters in ihm wucherte wie ein Krebsgeschwür, bis alles Gute und Helle in ihm endgültig davon verzehrt worden war? Was, wenn er eines Morgens aufwachte und das unwiderstehliche Verlangen verspürte, den Hain und seine Bewohner zu verlassen, um sich in die fürsorglichen Hände von Dr. Crofton Wicklow im Oakwood General Hospital zu begeben? Ogaire hatte ihn schon einmal mit einer List in seine Gewalt gebracht. Was hinderte ihn daran, das Gleiche noch einmal zu tun?
Wie ein düsteres Versprechen auf das, was die Zukunft für ihn bereithielt, begann die Schwäche allmählich aus seinen Gliedern zu weichen, und Andion spürte, wie langsam das Leben in seinen Körper zurückkehrte. Dennoch dauerte es noch mehrere Tage, bis er es wagte, sein Bett zu verlassen und auf wackligen Beinen in seinem Zimmer umherzuschlurfen, und noch einmal zwei Wochen verstrichen, ehe er sich kräftig genug fühlte, um zusammen mit Maifell kurze Spaziergänge durch das Dorf zu unternehmen. Erst jetzt merkte er, wie sehr er die klare, frische Luft und die sanfte Präsenz der mächtigen Eichen und Tannen, Kastanien und Birken vermisst und wie sehr er sich danach gesehnt hatte, mit seinen Fingerspitzen über die raue Borke und die weichen Blätter zu streichen, den süßen Duft der Blumen und Gräser zu riechen und das leise Lachen der Sylphen und Blütenfeen im Wind zu hören. Die Natur des Waldes schien sich ihm entgegenzuneigen, ihn mit ihrer eigenen Vitalität und Stärke zu umhüllen, wann immer er mit Maifell an seiner Seite unter den dichten Wipfeln der Bäume dahinschlenderte, und er öffnete sich ihrer Berührung, ließ sich ganz von den ätherischen Strömen der Kraft durchdringen, die wie kühles Quellwasser über die fiebrigen Wunden seiner Seele spülten.
Von nun an schritt seine Genesung rascher voran. Die Dunkelheit wurde zu einem Schatten, schließlich zu einer bloßen Erinnerung, die mit jedem Tag weiter von ihm fortrückte; nur der seltsame Nebel und die Lichtblitze vor seinen Augen blieben.
Auch am heutigen Morgen quälte ihn diese Sorge, während er neben Maifell am Ufer des kleinen Weihers entlangschlenderte, an dem er schon bei seinem ersten Besuch im Hain so viel Zeit verbracht hatte. Als er ihr davon erzählt hatte, hatte sie gelacht und erwidert, das sei auch ihr Lieblingsplatz. Seitdem war ihnen der tägliche Spaziergang um den See zu einer angenehmen Gewohnheit geworden, und trotz der wachsenden Furcht vor der Spinne, die in der Menschenwelt auf ihn lauerte und womöglich genau in diesem Augenblick an einem weiteren tödlichen Faden sponn, genoss Andion die stille Vertrautheit, die zwischen ihm und Maifell im Verlauf der vergangenen Wochen gewachsen war – eine Vertrautheit, die jedoch nur allzu bald enden musste.
Traurig und bekümmert sah er zu Boden, hing seinen eigenen trüben Gedanken nach, und auch Maifell schwieg. Schließlich, als sie den Weiher halb umrundet hatten, blieb sie abrupt stehen, fasste ihn bei den Schultern und sah ihm tief in die Augen. Er spürte, dass sie ihn umarmen wollte, es aus Rücksicht auf Neanden jedoch nicht tat. Obwohl diese Rücksichtnahme, wie Andion in den letzten Tagen erstaunt festgestellt hatte, vermutlich gar nicht mehr nötig war. Neanden folgte ihnen wie ein Schatten, doch ließ er ihnen überraschend viel Freiraum, und er hielt sich so weit von ihnen entfernt, dass er die Worte, die sie miteinander wechselten, wahrscheinlich nicht einmal verstehen konnte. Etwas schien sich in ihm verändert zu haben, und auch die finstere Wolke aus Zorn und Verbitterung, die ihn stets umgeben hatte, war längst nicht mehr so dicht wie an jenem Tag, als er mit ihm an Ionosens Barriere zusammengetroffen war und sie vergeblich versucht hatten, seinem Vater im Kampf gegen Ogaire zu Hilfe zu eilen. Auch Maifell musste das spüren, doch hatte sie offenbar beschlossen, nicht unnötig mit einem Messer in einer frisch verheilten Wunde herumzubohren.
Andion wünschte dennoch, sie hätte es getan. Er sehnte sich nach ihrer Berührung und der Wärme ihres Körpers, um so mehr, da er wusste, dass ihre gemeinsame Zeit bald vorüber sein würde.
„Es tut weh, dich so traurig zu sehen“, sagte sie leise.
Andion presste die Lippen aufeinander. Das war wirklich das Letzte, was er wollte. Doch konnte er es
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