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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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Verlangen, ihm zu helfen und ihn beschützen zu wollen.
    Ein staunendes Lächeln glitt zaghaft über seine Lippen, als er die Wahrheit zu ahnen begann. Natürlich hatte er gewusst, dass sich die Elfen und die Menschen im Lauf der Jahrhunderte immer mehr voneinander entfernt hatten – schließlich hatte ihm Ionosen oft genug davon erzählt -, doch bis zu diesem Moment hatte er nicht ermessen können, wie tief der Graben zwischen den beiden Welten tatsächlich geworden war. Denn es waren nicht nur die Menschen, die vergaßen. Nicht nur die Menschen, die sich abwandten, die vor den Wundern und Mysterien um sich herum die Augen verschlossen und orientierungslos durch den Nebel stolperten, den sie selbst heraufbeschworen hatten. Auch die Elfen waren im Nebel verloren, lange schon, einem Nebel, der mit jedem Gedanken der Verbitterung und des Hasses dichter und dichter geworden war, der alle Schönheit, alle Farben und Formen verschluckte und nur ein schmutziges, düsteres Grau übrig ließ. Und vermutlich war die Kenntnis, dass Elfen und Menschen einst mehr miteinander geteilt hatten als ihre gegenseitige Verachtung und Gleichgültigkeit – und das Wissen um die Besonderheiten der Früchte, die aus dieser speziellen Faszination und Anziehungskraft hervorgegangen waren -, eines der ersten Dinge gewesen, auf die, wahrscheinlich allzu bereitwillig, der Schleier des Vergessens herabgesunken war. Maifell schien, was die Eigenarten seiner Magie und ihr Gefahrenpotential für den Hain und seine Bewohner betraf, tatsächlich völlig ahnungslos zu sein, und das galt vermutlich auch für den Rest ihres Volkes. Er hoffte mit aller Inbrunst, die er aufzubringen vermochte, dass das immer so blieb.
    Ein seltsamer Ausdruck trat in Maifells Augen, und ihr Lächeln vertiefte sich. „Es freut mich, dass ich dir helfen konnte.“
    Wieder hob sie die Hand, strich sanft über seine Wange. „Du hast ein gutes Herz, Andion. Ionosen hat das gespürt. Und ich tue es auch.“
    Andion starrte sie an, lauschte dem Klang seines Namens, dessen Nachhall noch immer durch seine Seele wehte. Nie hatten Lippen diesen Namen so zärtlich und behutsam, nie mit mehr Wärme und Zuneigung geformt, als die ihren es in diesem Augenblick taten. Unvermittelt hatte er das Gefühl, als würde etwas in ihm zerreißen. Plötzlich waren seine Wangen nass vor Tränen. Er krümmte sich zusammen, und ohne dass er es verhindern konnte, brach ein Schluchzen aus ihm hervor, ein verzweifelter, qualvoller Schrei, der sich gewaltsam durch die Enge in seiner Kehle einen Weg nach draußen bahnte. Hilflos klammerte er sich an Maifell fest, bemerkte kaum, wie sie sanft ihre Arme um ihn schloss.
    „Sie sind tot!“, wimmerte er. „Sie sind alle tot! Ian! Mutter! Warum habt ihr das getan? Warum habt ihr mich verlassen?“
    Seine Stimme brach, ebenso wie die Mauern in seiner Seele, hinter die er seinen Schmerz zu verbannen versucht hatte. Er weinte, brüllte, schrie seine Trauer und seinen Schmerz heraus, einen Schmerz, der schlimm genug war, um drei Seelen in Trümmer zu legen, während Maifell ihn behutsam wie ein Kind in ihren Armen wiegte.

    Stumm und reglos wie ein Geschöpf der Nacht, das von den ersten Strahlen der Morgensonne in Stein gebannt worden war, stand Neanden zwischen den Ästen der uralten Eiche und starrte düster in das grüne Dickicht der Baumwipfel hinab. Hinter sich, kaum gedämpft von dem dicken Holz der Tür, deren Anblick er immer weniger zu ertragen vermochte, hörte er den Jungen schreien. Er wusste nicht, wann es begonnen hatte, hatte längst jegliches Gefühl für die Zeit verloren, während sich Andions Qualen wie Krallen in seine Seele gruben und er verzweifelt versuchte, seine Ohren vor dem schrecklichen Brüllen und Schluchzen zu verschließen, das ihm von Minute zu Minute mehr die Kehle zusammenschnürte.
    Dabei war es noch nicht einmal das Schlimmste. Denn obwohl er sich selbst in tausend Jahren nicht daran gewöhnen würde, waren Neanden doch Andions Schreie, seine Panik und seine Furcht, wenn er wieder einmal in einem seiner endlosen Albträume gefangen war und sich wild von einer Seite seines Bettes auf die andere warf, in den vergangenen Tagen dennoch zu einem ständigen, vertrauten Begleiter geworden, einem Begleiter, dem er zwar trotz der geschlossenen Tür in seinem Rücken niemals wirklich zu entfliehen vermochte, den er aber mit eiserner Selbstbeherrschung und Disziplin zu akzeptieren gelernt hatte.
    Nein, viel schlimmer als das war das

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