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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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sich schließlich auf den breiten Hauptast schwang und durch das schattige Zwielicht der Baumkrone auf das provisorische Gefängnis starrte, schnürte sich ihm vor Grauen und Furcht vollends die Kehle zusammen. Bereits von Weitem sah er, dass die Tür des kleinen Zimmers, die eigentlich hätte geschlossen sein sollen, offen stand, und als er Maifell erblickte, die verkrümmt wie ein waidwundes Tier neben einem reglosen Körper am Boden kauerte und mit gesenktem Kopf und bebenden Schultern in ihrem Schmerz ertrank, hätte er vor Verzweiflung und Zorn schreien mögen. Er stürzte in den Raum, kampfbereit, doch ohne Hoffnung, das Verhängnis noch aufhalten zu können – und blieb so abrupt stehen, als habe ihm jemand in vollem Lauf eine Faust in den Magen gerammt.
    „Was, bei allen Bäumen ...“
    Er stockte, zu überrascht und erschrocken, um Ordnung in das wirbelnde Chaos seiner Gedanken und Gefühle zu bringen und das furchtbare Bild zu erfassen, das sich höhnisch in seine aufgerissenen Augen brannte. Konnte er sich tatsächlich derart getäuscht haben? Hatte Ogaire sie am Ende doch zum Narren gehalten? Denn nicht Andion war es, der leblos und mit vom Todeskampf auf schreckliche Weise verzerrtem Gesicht zu seinen Füßen lag, sondern Gairevel.
    Er ging neben Maifell in die Hocke und fasste sie bei den Schultern. „Maifell, was ist hier passiert? War das Andions Werk?“
    Maifell sah ihn an, und trotz ihrer Tränen glomm sofort der altvertraute Zorn in ihren Augen auf. „Andion hat gar nichts getan! Er hat versucht, Gairevel zu retten, nicht ihn zu töten!“
    Neanden blickte verwirrt auf die Leiche. „Retten? Wovor?“
    „Vor Ogaire!“
    Neanden starrte sie ungläubig an, und seine Augen wurden noch größer, als Maifell ihm mit brüchiger Stimme schilderte, was in den letzten Minuten geschehen war, und ihm erzählte, was Andion ihr von Ogaire und seinen Plänen berichtet hatte. Als sie schließlich endete, saß er für einen langen Moment reglos da. Noch immer blickte er in Maifells blaue Augen, noch immer spürte er das raue Holz des Bodens unter sich und atmete die warme Luft des Sommermorgens, und doch war ihm, als sei er selbst zu einem Toten geworden, als sei sämtliches Leben aus ihm gewichen wie aus dem geschundenen Körper Gairevels zu seinen Füßen und hätte ihn kalt und leer zurückgelassen. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und mit jedem wummernden Schlag seines Herzens schien die Welt um ihn herum grauer und düsterer zu werden. Ogaire war im Hain? Und das schon seit Wochen ?
    Er räusperte sich, versuchte seine Worte an der Enge in seiner Kehle vorbeizuzwingen. „Wo ist Andion jetzt?“ Seine Stimme war so rau und krächzend, dass er sie selbst kaum erkannte.
    „Wo soll er schon sein?“, schluchzte Maifell. „Er ist gegangen, um sich Ogaire zu stellen. Zum Ort der Schändung. Ogaire wartet dort auf ihn.“
    „Aber das ist Wahnsinn!“, schrie Neanden. „Wie kommt Andion auf die Idee, dass er auch nur die geringste Chance gegen ihn hätte? Ogaire wird ihn genauso abschlachten wie alle anderen!“
    Maifell schüttelte den Kopf; Hoffnung und Verzweiflung flackerten in ihrem Blick. „Andion ist der Einzige, der überhaupt eine Chance hat.“ Mit leiser Stimme erzählte sie ihm, auf welch perfide Weise Ogaire Andion für seine Zwecke missbraucht hatte, und von der Macht der Elfenseelen in ihrer beider Körper.
    Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten konnte Neanden nichts anderes tun, als Maifell ungläubig anzustarren. Doch dies war nicht die Zeit für Verwirrung und Zweifel. Mit grimmiger Gewalt zwang er seine Konzentration zurück auf das Wesentliche und holte tief Luft.
    „Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist Andion tatsächlich der Einzige, der darauf hoffen darf, Ogaire besiegen zu können. Aber Stärke ist nicht alles, was zählt. Du weißt das so gut wie ich, Maifell.“
    Maifells Schultern krümmten sich, und plötzlich rannen neue Tränen ihre Wangen hinab. Neanden spürte ihren Schmerz und ihre Furcht, spürte die Einsamkeit, die sie erfüllte und wie ein hungriges schwarzes Loch an ihrer Seele fraß, und ein ersticktes Keuchen entrang sich seiner Kehle.
    „Du hast dich mit ihm verbunden!“
    Maifell sah von ihm fort, vermochte seinen erschrockenen Blick nicht zu erwidern. Erneut packte er sie bei den Schultern.
    „Ist das wahr? Hast du es getan?“
    Maifell nickte unter Tränen.
    Abrupt ließ er sie los, ballte in hilfloser Wut seine Hände zu Fäusten. „Bei allen

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