Wächter des Elfenhains (German Edition)
Gräser, ja sogar die noch geschlossenen Samenkörner in der Erde. Jede Erinnerung an die überschäumende Freude und Lebenskraft, an das Licht und die Wärme, die früher hier geherrscht hatten, war mit solch einer grausamen Endgültigkeit vom Antlitz der Welt getilgt worden, dass Andion vor Qual und Entsetzen aufheulte.
Tränen schossen ihm in die Augen, und eine Welle der Übelkeit überkam ihn. Keuchend brach er in die Knie. Er kannte diesen Ort. Hier hatte Ogaire seinen ersten Sohn getötet. Und hier würde auch er sterben.
Verzweifelt kämpfte er gegen die lähmende Schwäche, die ihm jede Unze Kraft aus dem Leib zu saugen schien, versuchte, wieder auf die Füße zu kommen, doch er stand noch nicht wieder sicher, als hart gesetzte Schritte hinter ihm aufklangen und eine Stimme scharf wie ein Messer die Stille durchschnitt.
„Von diesem Ort gibt es kein Entrinnen für dich!“
Ogaire. Andion musste ihn nicht sehen, um ihn zu erkennen. Er spürte seine Nähe, spürte seine verderbte Seele, deren widerwärtiger Gestank ihm die Kehle zusammenschnürte und sich wie Säure in seine Haut brannte.
Er wollte sich herumwerfen und fliehen, wollte fort von diesem grauenhaften Ort des Todes und der Schmerzen, doch so sehr er es auch versuchte, er vermochte sich keinen Millimeter von der Stelle zu rühren. Es war, als seien seine Füße plötzlich mit dem schrecklichen toten Boden verwachsen, als sei er zu einem Teil der schwarzen, verkrüppelten Bäume und Sträucher geworden, die wie die skelettierten Überreste qualvoll verendeter Tiere um ihn herum in die Höhe ragten.
Als hätte er alle Zeit der Welt, trat Ogaire in sein Blickfeld. Andion keuchte entsetzt auf, als er in seine Augen blickte, in Augen, die den seinen so sehr glichen und doch so kalt und unbarmherzig waren wie die eines Hais, dessen Zähne sich gerade in den Leib eines wehrlosen Tauchers gegraben haben.
„Lass mich gehen!“, flehte er. „Bitte! Lass mich gehen!“
Ogaire betrachtete ihn, wie eine Spinne eine Fliege betrachtet hätte, die sich in ihrem Netz verfangen hatte. Seine Augen blieben kalt, seine Miene unbewegt. „Du kannst deiner Bestimmung nicht entkommen. Dein Leben und deine Macht gehören mir.“
„Ich werde sie dir niemals geben!“, presste Andion verzweifelt hervor.
Ogaires Gesicht näherte sich dem seinen. Die Farbe seiner Augen veränderte sich, wurde dunkel wie geronnenes Blut. „Das musst du auch nicht. Ich werde sie mir einfach nehmen.“
Noch während er sprach, stieß er mit der rechten Hand zu. Andion brüllte auf, als seine Finger wie Messerklingen durch Haut, Fleisch und Knochen schnitten und sich tief in seine Brust bohrten, brüllte, als sie sich um sein zuckendes Herz schlossen und es ihm mit einem einzigen grausamen Ruck aus dem Leib rissen.
Schreiend fuhr er in seinem Bett in die Höhe. Sein Pyjama klebte schweißnass an seinem Körper, und seine Arme und Beine schlotterten unkontrolliert. Keuchend rang er nach Luft. Das Blut rauschte tosend in seinen Ohren, und sein Herz hämmerte so heftig gegen seine Rippen, als versuche es voller Panik, der Falle seines Brustkorbs zu entkommen und sich wie ein ängstliches Tier in der Dunkelheit seines Zimmers zu verkriechen, sich zitternd in irgendeine Nische zu drücken, wo der stählerne Griff des Todes es nicht erreichen konnte.
Stöhnend krümmte sich Andion zusammen, presste beide Hände auf die Brust. Der Schmerz war noch da, war so real, dass er instinktiv damit rechnete, eine offene Wunde zu berühren und warmes Blut zwischen seinen Fingern zu spüren. Panisch langte er zum Lichtschalter, sah sich gehetzt um. Er war allein.
Doch war er das wirklich? Ogaire war ein Elf, und Elfen konnten sich für menschliche Augen unsichtbar machen. Er könnte direkt neben seinem Bett stehen und lauern, ohne dass er ihn bemerken würde.
Die Angst trieb ihn aus dem Bett, er verhedderte sich in seiner Decke, stürzte, fiel, rappelte sich sofort wieder auf und flüchtete in eine Ecke des Zimmers. Dort kauerte er sich bebend zusammen.
Es war nur ein Traum, nur ein Traum. Er flüsterte die Worte wie ein verzweifeltes Gebet, doch es nützte nichts. Die Angst wühlte wie ein hungriges Tier in seinen Gedärmen, erfüllte jede Faser seines Körpers, ertränkte seine Seele in Finsternis. Er fand nicht einmal die Kraft Ian zu verfluchen, weil der mit seiner grässlichen Geschichte neues Öl in seine ohnehin überreizte Fantasie gegossen und ihn ganz offensichtlich zu ungeahnten
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