Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
Vom Netzwerk:
los. Seine blauen Augen funkelten kalt und hart wie Eiskristalle.
    „Was sollte das, Andion?“, herrschte er ihn an. „Du weißt genau, dass du nicht zu ihr gehen darfst, wenn sie so schlimme Träume hat.“
    „Ich ... ich wollte ihr doch nur ...“
    „Helfen?“, unterbrach Ian ihn zornig. „Du hast ihr nicht geholfen. Du hast ihre Angst nur noch verstärkt. Bei allen Bäumen, wann begreifst du das endlich, Andion? Du kannst ihr nicht helfen, und wenn du das weiterhin nicht einsiehst, wird es nicht Kenneth sein, der dir ein Messer in den Leib stößt!“
    Andion schrak zurück. „Das ... das wird sie nicht tun!“
    „Verlass dich nicht darauf. Wenn sie so große Angst hat, kann sie dich nicht von deinem Vater unterscheiden. Und du weißt das!“
    Andion sah zu Boden. Hilflos ballte er die Fäuste. „Warum?“, flüsterte er. „Warum sehe ich ihm nur so ähnlich? Ich möchte so gern für sie da sein, aber ich kann sie nicht einmal trösten!“
    Ians schüttelte den Kopf. Seine Stimme klang schroff, schnitt mit unerbittlicher Grausamkeit in Andions Seele. „ Nichts kann sie trösten!“
    Andion erbebte. „Wie konnte er das nur tun? Wie konnte er ihr nur so viel Leid zufügen?“
    „Weil ihm das Leben anderer bedeutungslos ist. Dein Vater nimmt keine Rücksicht – auf niemanden.“
    Andion sah abrupt auf. „Wenn ich ihm je begegnen sollte, werde ich ...“
    Ian ließ ihn nicht zu Wort kommen. Sein Zorn, eben erst leicht abgeklungen, loderte neu auf wie ein Buschfeuer unter heißem Wind. „Wenn du ihm wirklich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen solltest, wirst du nur eins tun: weglaufen.“
    „Aber ...“
    Ian packte ihn hart am Arm. „Du wirst weglaufen, hast du verstanden? Ich habe nicht so viel geopfert, damit du dich einfach von ihm umbringen lässt! Du musst weiterleben! Also halte dich von ihm fern.“
    Ians Wut erschreckte Andion. Nie, nie zuvor hatte er ihn so erlebt.
    „Ich ... ich verspreche es.“
    „Ich verlasse mich darauf!“
    Damit ging Ian, abrupt und ohne ein weiteres Wort. Andion starrte ihm hinterher, auch nachdem sich die Tür schon längst hinter ihm geschlossen hatte. Kälte sickerte in seine Glieder, betäubte ihn, fraß jeden seiner Gedanken. Er spürte nicht einmal die Tränen, die haltlos über seine Wangen strömten.

5. Kapitel

    Er wusste nicht, wie lange er reglos in dem alten, zerschlissenen Sessel gehockt und mit leerem, tränenverschleiertem Blick auf die geschlossene Wohnungstür gestarrt hatte, wie lange er verzweifelt darauf gehofft hatte, Ian möge noch einmal zurückkehren, der alte, vertraute Ian, dem es mit einem Lächeln, einer Berührung oder ein paar aufmunternden Worten so oft gelang, die Last seines erbärmlichen Lebens ein wenig leichter zu machen. Doch Ian kam nicht; das Wunder, das er so selbstverständlich zu akzeptieren gelernt hatte, blieb aus.
    Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Andion endlich die Kraft fand, sich aus dem stillen, düsteren Flur zurück in sein Zimmer zu schleppen. Die Kälte in seinem Inneren war noch immer da, hüllte ihn in einen Panzer aus Eis, ließ seinen Schmerz und seine Qualen wie die gespenstischen Schemen von Toten unter der gefrorenen Oberfläche seiner Seele dahintreiben. Die Welt um ihn herum schien auf merkwürdige Weise entrückt, hatte etwas seltsam Irreales und Traumartiges, als sei das jähe Erwachen aus seinem Albtraum lediglich eine Täuschung gewesen, als sei er noch immer in Ogaires schrecklichem Bann gefangen, noch immer gefangen zwischen den schwarzen, verkrüppelten Eichen und Tannen, die unsichtbar und anklagend neben seiner schlurfenden Gestalt in die Höhe ragten.
    Kaum hatte er die Tür seines Zimmers hinter sich ins Schloss gedrückt und mit zittrigen Händen nach dem Lichtschalter getastet, ließ er sich, den Rücken gegen das kühle Holz der Wand gepresst, langsam zu Boden sinken, zog seine Knie dicht an den Körper und schlang bebend seine Arme darum. Tränen der Scham brannten heiß in seinen Augen, schnürten ihm die Kehle zusammen. Das bleiche, verzerrte Gesicht seiner Mutter tanzte wie ein höhnischer Geist um ihn herum, die Erinnerung an ihren blinden, wahnsinnigen Hass schien das Universum zu füllen, hallte wie ein lautloser Schrei durch seine Seele und ließ ihn voller Qual aufschluchzen.
    Wie hatte er nur so dumm sein können? All die Jahre hatte er verzweifelt darum gekämpft, den Abgrund zwischen ihm und seiner Mutter irgendwie zum Verschwinden zu bringen, und doch war es nur

Weitere Kostenlose Bücher