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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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Naturgeister zu offenbaren, wäre ihm wie ein Sakrileg vorgekommen; diese Geschichten gehörten ihm allein.
    Gleiches galt, wenn auch aus anderen Gründen, für alles, was mit Ogaire und seinen teuflischen Plänen zusammenhing. Ogaires Namen würde er niemals einem anderen gegenüber erwähnen. Vermutlich war es abergläubisch und dumm, aber die bloße Vorstellung genügte bereits, um ihn mit lähmendem Grauen zu erfüllen, fast als könne allein der Klang jenes schrecklichen Namens, an falscher Stelle ausgesprochen, das Tor zwischen den Welten aufstoßen und den grinsenden Schnitter daraus hervortreten lassen, um ihn mit seiner kalten Knochenhand in den Tod zu reißen.
    Draußen war längst die Nacht über das Land gekrochen, als er schließlich, körperlich und seelisch erschöpft von den Aufregungen des Tages, in sein Bett fiel. Doch obwohl ihm die Müdigkeit bleiern in allen Gliedern steckte und er sich nichts mehr wünschte, als sich sanft in ein traumloses Vergessen davontreiben zu lassen, lag er die nächsten zwei Stunden stocksteif in seinem Kissen und starrte mit klopfendem Herzen in die Dunkelheit seines Zimmers, verzweifelt bemüht, die schrecklichen Bilder von Ogaire und seinen furchtbaren Verbrechen aus seinen aufgewühlten Gedanken zu verbannen, bevor der Schlaf ihn übermannte.
    Es war ein Unterfangen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Denn so sehr er auch versuchte, den Moment hinauszuzögern, da er seine Seele schutzlos den lauernden Dämonen preisgeben musste, so unausweichlich war es, dass die ängstliche Konzentration und Anspannung schließlich ihren Tribut forderten. Irgendwann gelang es ihm nicht mehr, sich dem Gewicht seiner Lider entgegenzustemmen, sein Bewusstsein zerfaserte, verlor sich in der Stille und der hungrigen Finsternis der Nacht.
    Das Grauen hatte hämisch nur auf diesen Augenblick gewartet. Unvermittelt fand sich Andion in einem dichten Wald wieder. In seinen Träumen war er schon oft hier gewesen, und auch jetzt stürzte er wie von Teufeln gehetzt zwischen den mächtigen Stämmen der Eichen, Kastanien und Tannen hindurch, sprang über knorrige Wurzeln und schmale Bäche, bahnte sich keuchend seinen Weg durch Büsche und Dornengestrüpp. Manchmal strauchelte er, fiel hin, schrammte sich Hände und Knie auf, rappelte sich jedoch sofort wieder hoch und rannte weiter. Er spürte die Blicke, die sich in seinen Rücken bohrten, Blicke, die erbarmungslose Kälte in sich trugen und ihn wie Peitschenhiebe vorantrieben.
    Auch das kannte er. Er rannte und rannte, hetzte unter dem endlosen grünen Blätterdach dahin, floh in Panik vor der mörderischen Präsenz, die mit der unerbittlichen Zielstrebigkeit eines jagenden Raubtiers näher und näher kam. Doch heute war der Wald nicht so endlos wie sonst, nicht so gleichförmig. Erst waren es nur kleine, verwelkte Blätter und Gräser, die das lebendige Grün durchbrachen, doch mit jedem weiteren Schritt, den er voranstolperte, wurden die Zeichen des Verfalls offenkundiger, schockierender. Bald waren ganze Baumgruppen verdorrt und schwarz, als hätte sich das grauenhafte Maul eines Dämons über die Eichen und Tannen und Haselnusssträucher gestülpt und gierig das Leben aus ihnen herausgeschlürft, und wohin er auch blickte, sah er die winzigen, verkohlten Körper von Sylphen und Blütenfeen, die wie gefrorenes Laub unter seinen Füßen knackten und knisterten, als er mit schreckensstarrem Gesicht vorwärtstaumelte. Die Luft, die er in seine schmerzenden Lungen sog, roch nach Fäulnis und Verwesung, und selbst das vitale, kräftige Braun des Bodens verblasste, verwandelte sich mehr und mehr in schaurige, graue Totenasche, die in unheimlichen Wolken um seine Knöchel wallte und sich als schmieriger Film auf seine schweißfeuchte Haut legte. Auch das Licht veränderte sich, wurde schmutzig und stumpf, als quetsche eine unsichtbare Faust alle Farben und alle Hoffnung aus der Welt heraus, bis nur noch eine leere, verschrumpelte Hülle übrig war, und der Himmel über ihm wurde schwarz, als sei das helle, strahlende Blau wie Blut aus einer offenen Wunde in der grausigen, toten Erde versickert.
    Andion versuchte, dem Verfall auszuweichen, doch wohin er auch lief, es wurde immer schlimmer. Schließlich trugen ihn seine panischen Schritte mitten hinein ins Herz der Zerstörung. Er blieb so plötzlich stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Barriere geprallt. Tot, alles um ihn herum war tot - jeder Baum, jeder Strauch, alle Blumen und

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