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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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und er vor Überraschung und Freude den Kopf hochriss. Esendion und Alisera waren gekommen!
    Die beiden Schwäne schwangen sich in die Höhe, kreisten einen Moment lang über ihm, bevor sie eine leichte Kurve beschrieben und in gemächlichem Tempo quer über die Wiese davonflogen.
    Andion schloss für eine Sekunde die Augen und holte zitternd Luft, dann straffte er seinen Rücken, verließ den Weg, dem er eigentlich hatte folgen wollen, und eilte den beiden im Sonnenlicht schimmernden Gestalten hinterher, so schnell ihn seine wackligen Beine zu tragen vermochten. Esendion und Alisera allein verdankte er es, dass er schließlich zu jenem Ausgang des Parks gelangte, der dem Haus seiner Mutter am nächsten lag.
    Doch obwohl er ihre Hilfe nun nicht mehr benötigt hätte, um sich zurechtzufinden, blieben sie weiterhin in seiner Nähe, kreisten über ihm am Himmel, bis er mit zittrigen Händen seinen Schlüssel, den er vergessen all die Tage in seiner Hosentasche mit sich herumgetragen hatte, ins Türschloss schob, dann drehten sie endgültig ab und glitten majestätisch über die Dächer der Stadt in Richtung Park davon.
    Andion schickte ihnen einen stummen Dank hinterher, atmete noch einmal tief durch und stieß die Tür auf. Sein Herz jagte plötzlich mit doppelter Geschwindigkeit in seiner Brust, und der Hals wurde ihm eng, als zöge sich eine unsichtbare Schlinge immer fester um seine Kehle zusammen, während er die kurze Treppe hinaufzusteigen begann, so wie er es schon so viele Male zuvor getan hatte, wenn er aus der Schule oder von einem seiner Spaziergänge im Park nach Hause gekommen war, früher, als er noch nichts von seiner wirklichen Herkunft gewusst hatte – und von der Kreatur, die sein Vater war.
    Doch nun war alles anders geworden. Sein Leben hatte sich verändert, war von einem boshaften Schicksal zertrümmert, in einem kosmischen Würfelbecher durcheinandergewirbelt und wieder zusammengefügt worden, und kein einziges Teil war mehr dort, wo es früher einmal gewesen war. Plötzlich fürchtete er sich, seiner Mutter gegenüberzutreten, seiner Mutter, die von Anfang an die Wahrheit über ihn gekannt hatte, über ihn, Ionosen – und Ogaire. Wie sehr musste sie dieses Wissen gequält, wie sehr die Notwendigkeit, dieses schreckliche Geheimnis für sich zu behalten, einen Abgrund zwischen ihnen geschaffen haben? Er war nicht einmal ein Mensch, und sie hatte es die ganze Zeit gewusst!
    Im Vorbeigehen klopfte er an Ionosens Wohnungstür, hielt sich jedoch nicht auf, sondern eilte weiter nach oben. Seine Mutter saß wie üblich in ihrem Sessel im Flur, doch sie stickte nicht. Ihre Arbeit lag unberührt auf ihrem Schoß, ihre Augen waren allein auf die Tür gerichtet. Er hatte ihr angstvolles Bangen schon gespürt, noch bevor er seinen Schlüssel ins Schloss schob, und seine Kehle schnürte sich noch enger zusammen.
    Als sie ihn erblickte, stieß sie einen heiseren Schrei aus, sprang auf, achtete nicht auf die Stickerei, die mit einem dumpfen Laut zu Boden fiel, und stürmte auf ihn zu.
    „Andion!“
    Sie umarmte ihn, drückte ihn so fest an sich wie nie zuvor. Ihre schmalen Schultern bebten.
    „Du bist zurück“, flüsterte sie, wieder und wieder, hielt ihn umklammert wie einen verloren geglaubten Schatz, der nach Jahren der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit unerwartet wieder aus den Tiefen des Meeres emporgestiegen war. Sie presste ihr Gesicht an seine Schulter und weinte, weinte so sehr, dass ihre Tränen in Sekunden sein Hemd durchnässten.
    Andion erwiderte ihre Umarmung, strich ihr behutsam mit einer Hand übers Haar. Die vorsichtige, beinahe scheue Berührung ließ ihn innerlich erschauern, und er spürte, wie auch sein eigener Blick unter Tränen zu verschwimmen begann. Niemals zuvor, in all den Jahren seines Lebens, war sie ihm so nahe gewesen, hatte sie seine körperliche Gegenwart so bereitwillig akzeptiert und ihm das Gefühl gegeben, nur ein ganz gewöhnlicher Junge zu sein. Nur ein Sohn, der durch die Dunkelheit gewandert und nach Hause zurückgekehrt war.
    „Es ist alles in Ordnung, Mom“, sagte er leise. „Es geht mir gut.“
    Doch seine Worte konnten sie nicht erreichen. Sie weinte weiter, selbst noch als Ionosen hinzukam, weinte beinahe zwei Stunden. Die gesamte Zeit über ließ sie ihn nicht los, und auch Andion hätte sich um nichts in der Welt aus ihrer verzweifelten Umklammerung gelöst, hätte niemals zugelassen, dass dieser unendlich zarte, fragile Moment, dieser wundervolle,

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