Wächter des Elfenhains (German Edition)
verborgenen Weihers, auf den er bei einem seiner wenigen kurzen Streifzüge in die Umgebung gestoßen war, schlief dort unter freiem Himmel und mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und versuchte, nicht auf die Tränen zu achten, die jeden Morgen heiß hinter seinen geschlossenen Lidern brannten.
Doch so sehr die Verachtung und die Ablehnung der Elfen ihn auch schmerzten, gänzlich allein blieb Andion dennoch nicht. Bereits mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne kamen sie herbei, erhoben sich wie bunte Schmetterlinge aus den Blütenkelchen der Blumen und Büsche, tanzten auf den sanften Strömungen des Windes, huschten lautlos und schnell wie Schatten durch das dichte Unterholz, hoben ihre uralten, gütigen Gesichter knarrend aus der Rinde der Bäume, um ihn voller Mitgefühl und Kummer zu betrachten – all die Wesen des Kleinen Volkes, die Blütenfeen und Sylphen, die Kobolde und Dryaden, die ihn bei seiner Ankunft im Hain mit so viel Ausgelassenheit und Freude willkommen geheißen hatten. Winzige, ätherische Finger strichen tröstend über sein Gesicht, versuchten, die düsteren Wolken zu vertreiben, die von Tag zu Tag schwerer auf seiner Seele lasteten, und überall um sich herum hörte Andion seinen Namen im Wind – seinen kompletten, seinen wahren Namen, den, den ihm Ionosen, der Elfenprophet, nur wenige Minuten nach seiner Geburt gegeben hatte.
Ihre anhängliche Treue rührte ihn, und doch wünschte er bald, die Kleinen Wesen hätten sich nicht so offen auf seine Seite gestellt und nicht gar so deutlich gezeigt, was sie vom Verhalten der Elfen und den Beschlüssen des Ältestenrats hielten. Denn je länger Neanden dem unverfrorenen Treiben der Sylphen und Blütenfeen, der Dryaden und Kobolde zusah und je öfter sich der Klang des verhassten Namens in seine Seele ätzte, desto mehr schwoll finsterer Groll in seinem Herzen, und seine Gesichtszüge erstarrten mehr und mehr zu einer schroffen, zorndurchtränkten Maske, einer Maske mit dünnen, zu einem harten weißen Strich zusammengepressten Lippen und Augen, in deren eisigem Blau ein tödliches Feuer loderte. Andion konnte es ihm nicht einmal verdenken.
Auch deshalb, weil er Neanden nicht länger zumuten wollte, durch seine Anwesenheit ständig an Ogaire und seinen Vater erinnert zu werden, ließ er sich schon nach sieben Tagen zur Grenze des Hains führen. Obwohl sich jede Faser seines Körpers und seiner Seele beim Gedanken an den letzten, entscheidenden Schritt, der ihn wieder zurück nach Oakwood bringen würde, vor Verzweiflung und stummer Qual verkrampfte und seine Muskeln von Sekunde zu Sekunde weniger Bereitschaft zeigten, seine Füße noch ein weiteres Mal vom Boden zu heben, hatte er keine Wahl, nicht nur wegen Neanden. Er hatte lange genug nur an sich selbst gedacht. Es wurde Zeit, die, die ihn liebten und sich um ihn sorgten, nicht noch weiter im Ungewissen zu lassen.
Der Schritt zurück traf Andion wie ein Schock. Im Vergleich zur überbordenden Lebenskraft und Vitalität des Hains wirkte die Welt der Menschen so kraftlos und tot wie ein alter Lappen, der in einem Eimer voller Schmutzwasser langsam vor sich hin moderte. Selbst hier im Park, der ihm von allen Orten stets der Liebste gewesen war, schmeckte die Luft so abgestanden und schal, war so sehr erfüllt vom Geruch nach Abgasen, Staub, Asphalt und Beton, vom ständigen Summen und Vibrieren, Hupen und Dröhnen tausender von Autos, Lkws und Bussen, von Presslufthämmern, Rasenmähern und über den Himmel ziehender Flugzeuge, dass sich seine Kehle vor Entsetzen und Ekel zusammenzog und seine Lunge sich anfühlte, als würde mit jedem qualvollen Heben und Senken seiner Brust ein größerer Haufen Sand und flockiger Asche darin aufgetürmt, der ihm unbarmherzig den Atem nahm.
Benommen und nahezu orientierungslos wankte er über die kiesbestreuten Wege, beinahe blind von den Tränen, mit denen seine gereizten, brennenden Augen vergeblich versuchten, den Schmutz und den Ruß fortzuspülen, die in unsichtbaren Wolken um ihn herumwirbelten, seit er mit einem letzten, widerwilligen Schritt vollends aus dem Nebel der Elfenwelt hervorgetreten war. Vermutlich wäre er noch lange hilflos zwischen den Bäumen und weitläufigen Rasenflächen umhergeirrt, hätte nicht plötzlich ein mächtiges Rauschen die Luft erfüllt und wären nicht mit einem Mal die schneeweißen Schwingen zweier Schwäne so dicht über ihn hinweggestrichen, dass seine Haare in den kräftigen Windböen zu flattern begannen
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