Waechter des Labyrinths
vor Kampflust erhitzt. Als sie das Erdgeschoss erreichten, blieb Nina stehen und versuchte sich zu orientieren. Schüsse krachten, Steinsplitter flogen umher. «Ich habe Kinder dabei!», schrie sie. Das Feuer wurde eingestellt. Sie schaute sich wieder um. Ein kniender Soldat in einer Fliegerjacke winkte sie zu sich heran. Mit erhobenen Händen ging sie los, die Kinder hinter ihr her. Der Soldat zeigte auf die Rasenfläche und bedeutete ihnen, sich hinzulegen. Kiko weinte, die Mädchen waren bleich und wacklig auf den Beinen. Aber sie taten, was man von ihnen verlangte. Nina legte die Arme um ihre Kinder und tröstete sie, so gut sie konnte. Die Schießerei dauerte an, ebenso das Dröhnen der Granaten und das Brüllen der nervösen Soldaten. Doch dann ebbte der Kampflärm ab, und plötzlich hörte er ganz auf.
Jetzt waren andere Geräusche zu hören, leisere. Wimmernde und schreiende Männer, schluchzende Frauen, Pferde, die mit den Hufen gegen ihre Boxen traten und wieherten. Aus den Gebäuden kamen Leute heraus, wichtige Leute, die sie aus dem Fernsehen kannte und von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie hier zu Gast waren. Man konnte ihnen ansehen, dass ihnen gerade klarwurde, wie wenig ihr Reichtum und ihr Status in diesem Moment zählten. Ilja Nergadse wurde zu einem Gefangenentransporter abgeführt. Für einen Moment frohlockte Nina so sehr, dass sie ihm schon etwas Triumphierendes zurufen wollte, doch dann sah sie den mörderischen Zorn in seinem Gesicht, schaute schnell weg und betete, dass er sie nicht gesehen hatte.
Ein Mann in einer schäbigen schwarzen Polizeiuniform kam über den Rasen auf sie zu. Er hielt sich ein blutbeflecktes Taschentuch vor die Nase und sah unwichtig aus, doch alle begegneten ihm mit äußerstem Respekt. «Sie müssen Nina sein», sagte er. Durch die blutige Nase klang er, als sei er erkältet. Er hockte sich hin und zauste Kiko durchs Haar. «Und du bist bestimmt Kiko.»
«Ja», sagte Kiko und rieb sich erst die Nase und dann die Augen. «Und wer sind Sie?»
«Ich heiße Viktor», sagte er. «Ich bin ein Freund deines Vaters.»
«Er hat Sie angerufen?», fragte Nina.
«Ja, er hat mich angerufen.»
«Und das alles hier?», fragte sie verwirrt. «Nur weil er Sie angerufen hat?»
Viktor lachte. «Sagen wir mal, er hat uns einen Vorwand geliefert.» Er richtete sich wieder auf. «Apropos, Sie oder die Kinder wissen nicht zufällig, ob hier irgendwo Gold eingeschmolzen wurde?»
IV
Knox hatte keine Ahnung, was der Mann gesagt hatte, um ihn vor der Zange zu bewahren, aber er war dankbar, so viel war sicher. Doch dann lächelte Michail und blaffte auf Georgisch Befehle. Der folgsame Riese ging hinaus und kehrte mit einer Gartenbank zurück, die vom letzten Regenschauer noch nass war. «Leg ihn darauf», sagte Michail. Er war wieder ins Englische gewechselt, vermutlich wollte er, dass Knox verstand, was er vorhatte. «Bind ihn fest. Ich will, dass er sich nicht mehr rühren kann.»
Knox versuchte sich zu wehren, doch mit gefesselten Händen und Füßen war es aussichtslos. Der Riese umwickelte ihn wie eine Mumie mit Klebeband und fesselte ihn auf die Bank. Da Knox’ Hände noch immer nach hinten gebunden waren, drückten sie ihm unerträglich in den Rücken. Michail ging ohne Eile davon. Knox konnte seine Schritte auf der Treppe hören. Eine Minute später kehrte er mit einem Lederknebel zurück. So lange wie möglich presste Knox die Lippen zusammen, drehte sein Gesicht zur Seite und atmete durch die Nase. Doch Michail hielt sie ihm einfach zu und wartete, bis er keine Luft mehr bekam. Dann schob er ihm das Leder in den Mund und band ihm den Knebel so fest hinter dem Kopf zusammen, dass der Riemen Knox in die Lippen schnitt. Und weil Michail die Macht hatte, zog er den Knebel einfach noch ein bisschen straffer.
«Lassen Sie mich», flehte Knox. Aber man konnte ihn kaum verstehen.
«Hol mir bitte ein Handtuch, Davit», sagte Michail.
«Was für eins, Sir?»
«Kein zu großes.»
«Ja, Sir.» Er brachte ein grünes Handtuch aus dem Badezimmer im Erdgeschoss. «Ist das in Ordnung, Sir?», fragte er.
«Perfekt. Danke, Davit», sagte Michail. Er beugte sich zu Knox hinab, damit dieser ihn besser verstehen konnte. «Als ich in den Staaten war, wurde ständig von diesen ausgeklügelten Verhörmethoden gesprochen. Da wird man neugierig.» Er faltete das Handtuch einmal in der Mitte und legte es Knox aufs Gesicht. Der Stoff juckte auf seiner Haut, und er konnte nichts
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