Waechter des Labyrinths
aussieht? Sie wissen doch, welche Sicherheitsvorkehrungen es heutzutage auf Flughäfen gibt. Man würde sofort auf uns aufmerksam werden.»
Michail starrte ihn an und versuchte herauszufinden, welche Absicht sich hinter seinen Worten verbarg. Doch dann lächelte er plötzlich. «Na schön», sagte er. «Ich weiß etwas Besseres.»
III
Nina Zdanevich hatte sich am Abend mit ihren drei Kindern im Zimmer verbarrikadiert und eine Kommode vor die Tür geschoben für den Fall, dass ihnen jemand einen nächtlichen Besuch abstatten wollte. Aber niemand war gekommen. Als sie die Kommode gerade wieder an ihren Platz zurückschob, hörte sie Schüsse auf den Festungsmauern. Bestimmt ballerten die Nergadses und ihre Freunde wahllos auf die Vögel über dem See. Die Nergadses schossen gerne herum, besonders wenn das Ziel nicht zurückschießen konnte.
Doch dieses Mal wurde zurückgeschossen.
Aufgeregt hastete sie zum Fenster. Sie konnte nur schwer etwas ausmachen, denn ihr Zimmer lag zum Ufer des Sees, und alles passierte entweder links oder rechts davon. Doch dann sah sie einen Hubschrauber so tief über dem Wasser heranfliegen, dass durch die Rotorenbewegung Wellen entstanden. Aus der anderen Richtung rasten gepanzerte Jeeps im Zickzack den Hang hinunter. Es dauerte einen Moment, ehe sie verstand, was vor sich ging. Da bisher nichts geschehen war, hatte sie gedacht, ihr Mann hätte sie im Stich gelassen. Aber bei Gott, das hatte er nicht.
«Was ist los?», fragte Kiko.
Sie wollte ihm und den Mädchen gerade etwas Beruhigendes sagen, als Maschinengewehrsalven das Gegenteil verkündeten und die Hubschrauber über die Schlossmauern donnerten. Dann hörte sie einen dumpfen Schlag. Unterbewusst musste sie aus dem Fernsehen wiedererkannt haben, was nun passieren würde, denn sie schrie auf, drehte sich um und breitete schützend die Arme vor ihren Kindern aus. Nur eine Millisekunde später spürte sie die Druckwelle der Explosion an der Schlossmauer. Das Fenster zersprang, Glassplitter schossen durchs Zimmer, Staub und Putz rieselten wie ein feiner Regen auf sie herab, die Bilder fielen von den Wänden und krachten zu Boden.
«Dort rüber», rief sie und lief zur Wand. «Legt euch hin.»
Gott sei Dank gehorchten die Kinder. Sie riss die Matratze vom Bett und zog sie über alle vier. Dann murmelte Nina Gebete, die sie alle kannten, während sie sich in der Dunkelheit an den Händen hielten. Ein Stiefel trat gegen die Tür und stieß sie auf. Nina riskierte einen Blick. Ein Mann mit einer Kalaschnikow rannte zum Fenster und feuerte eine Reihe kurzer Salven ab, die nach einer Weile entschieden erwidert wurden. Ein Kugelhagel prasselte an die Wände und die Decke, Querschläger zischten gegen die Matratze. Der Mann ließ seine Waffe fallen und fasste sich mit beiden Händen an den Hals. Blut sickerte durch seine Finger. Als er sich umdrehte, sah er Nina, und sie schauten sich einen kurzen Augenblick verwirrt und verängstigt an, ehe er schwankend davonlief.
Die Schusswechsel hörten nicht auf. Kiko weinte, Eliso und Lila waren kreidebleich und zitterten. Hier konnten sie nicht bleiben. Für einen Moment wurde das Feuer eingestellt. «Folgt mir», befahl Nina. «Duckt euch.» Sie hielten sich an den Händen und liefen gebeugt aus dem Zimmer. Auf dem Gang herrschte Chaos. Aus jedem Zimmer kamen Leute gerannt, die meisten noch in Schlafanzügen. Jeder floh blindlings und rempelte die anderen an, niemand wusste, was los war oder was er tun sollte. Eine weitere Explosion. Die Fenster zum Innenhof wurden eingedrückt, Scherben hagelten zu Boden. Nina schaute hinab auf die nackten Füße der Kinder. «Vorsichtig», sagte sie und hielt sich dicht an der äußeren Wand. «Bleibt direkt hinter mir.»
Durch ein Fenster zum Innenhof sah sie, dass die Holztore zerborsten in ihren Angeln hingen und gepanzerte Fahrzeuge über die Zugbrücke auf das Schloss zufuhren. Im Hof landete ein Hubschrauber, aus dem Soldaten mit kugelsicheren Westen stürmten und in Stellung gingen. Weitere Hubschrauber flogen tief über die Anlage und beschossen die Wehrmauern. Nach und nach kamen Leute mit erhobenen Händen hervor und legten sich dann mit dem Gesicht nach unten auf den Boden, während Soldaten ihnen Handschellen anlegten. Dort wollte sie sein, denn einen sicheren Ort würde sie in dieser Situation nicht finden. Sie kamen zum Turm und gingen die Wendeltreppe hinunter. Ein Mann mit einem Raketenwerfer auf der Schulter kam ihnen entgegen, das Gesicht
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