Waechter des Labyrinths
sich die juckende Nase. Sie konnte jetzt nicht aufhören, er war durchnässt und voller Schaum. Sie nahm die Schüssel und leerte sie über ihm aus, ohne dem Hund dabei in die Augen zu schauen. Dann ging sie wieder hinein und füllte die Schüssel auf. Als sie erneut damit vor ihm stand, jaulte und kläffte und tänzelte er hin und her, um dem Wasser auszuweichen, aber sie fasste sich ein Herz und goss es über ihm aus. Schließlich nahm sie das Handtuch und begann ihn abzutrocknen. Am Anfang spürte sie noch, wie er aufgebracht bebte und zuckte, doch bald schien er es zu genießen, denn er wehrte sich nicht mehr und ließ sich ihre Gemeinheiten gefallen.
Mit der Nagelschere schnitt sie ihm die verfilzten Büschel aus dem Fell und rieb die wunden Stellen mit antiseptischer Creme ein. Zu ihrer Überraschung wehrte er sich auch dagegen nicht, sondern senkte den Kopf und beschnüffelte ihre Schulter, ihre Hände und dann ihre Wange. Als sie seine feuchte Schnauze und die raue Zunge spürte, wurde ihre Zuneigung zu ihm noch größer. Sie legte Argo das Handtuch um den Hals, drückte ihn fest an sich und roch den frischen Duft des Apfelshampoos. Und in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie, da Petitier tot war, bereits Verantwortung für den Hund übernommen hatte. Blieb nur noch die Frage, wie Daniel reagieren würde, wenn er erfuhr, dass ihr zukünftiger Haushalt bereits ein neues Mitglied gewonnen hatte.
Sie band das Seil vom Orangenbaum los, packte die Leine dicht am Halsband und wickelte sie sich ein paarmal um die Hand, bis sie das Gefühl hatte, ihn halten zu können. Dann machte sie ihn von dem Metallpfosten los und führte ihn um das Haus herum zu seinem aufpolierten Zwinger. Sie hatte gedacht, dass er sich sträuben würde, aber er trottete zufrieden hinein, vielleicht, weil er seine Schüsseln entdeckt hatte. Und nachdem sie ihn von der Leine gelassen und den Zwinger verriegelt hatte, blieb sie davor stehen und überlegte, was sie noch tun konnte.
Sein Fell stand struppig nach allen Seiten ab. Er musste gebürstet werden, aber ihre Liebe ging nicht so weit, dass sie ihre Bürste dafür opfern wollte. Den Besen konnte sie auch nicht nehmen, weil sie damit gerade seinen Zwinger gefegt hatte. Sie ging ins Haus und stöberte herum. Da sie im Schlafzimmer und im Bad nichts fand, schaute sie in der Küche nach. Als sie eine klemmende Schublade aufzog, rollte eine rote Glühbirne hervor. Stirnrunzelnd betrachtete sie sie. Wozu hatte Petitier eine rote Glühbirne gebraucht? Ihr fielen nur wenige Verwendungsmöglichkeiten für rotes Licht ein, und es erschien ziemlich unwahrscheinlich, dass Petitier hier draußen ein Bordell betrieben hatte. Sie schaute hinaus in den Hauptraum und auf die Schwarz-Weiß-Fotografien an der Wand. Heutzutage wurden Schwarz-Weiß-Filme nicht mehr gewerblich entwickelt, dafür war die Nachfrage einfach zu gering. Sie schaute sich die Fotos genauer an. Ein Bild war absichtlich überbelichtet, um das Sonnenlicht gleißender wirken zu lassen. Ein klassischer Trick von Amateurfotografen, die ihre Abzüge selbst machten. Sie bekam eine Gänsehaut, als ihr die einzig logische Erklärung in den Sinn kam.
Petitier hatte eine eigene Dunkelkammer.
III
So wie Nadja es sah, hatte sie bestenfalls noch eine halbe Stunde zu leben.
Sie saß auf der Rückbank des Mercedes. Wegen ihrer zerquetschten Hand hatte man ihr die Handgelenke dieses Mal nicht hinter dem Rücken, sondern vorne gefesselt, aber weiter war ihr Michail nicht entgegengekommen. Sie schaute ihre Hand nicht an, denn sonst tat sie ihr nur noch mehr weh. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Zaals Hinterkopf, auf seinen Glatzenansatz, auf den dunklen Flaum, der ihm seit seinem letzten Haarschnitt gewachsen war, und auf die Haut unter dem Kragen, die Falten bildete oder sich straffte, wenn er in den Rückspiegel schaute. Ein komischer Gedanke, dass es vielleicht das Letzte sein würde, was sie jemals sah.
Die halbe Stunde, die ihr noch blieb, gliederte sich folgendermaßen auf: In ungefähr zwanzig Minuten würden Boris und Davit den Parkplatz erreicht haben. Dann würden sie Knox zwingen, ihnen den Schlüssel zu zeigen. Für eine Weile würde er sie hinhalten. Vielleicht fünf Minuten. Doch dann würde Boris die Geduld verlieren. Er glaubte sowieso nicht, dass es diesen Schlüssel oder das Vlies gab. Außer Michail glaubte niemand daran. In fünfundzwanzig Minuten würde er sich also mit den schlechten Nachrichten melden. Und damit
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