Waechter des Labyrinths
sich an Davit. «Bind ihm die Beine los. Und leg ihm deine Jacke über die Schultern. Ich möchte nicht, dass jemand die Handschellen sieht.»
«Ja, Sir.»
Michail und Boris stiegen aus, gingen um den Wagen herum und öffneten die Türen. Davit legte Knox eine Hand auf die Schulter, als sie herauskletterten. Knox war überrascht, dass bereits die Dämmerung einsetzte. Überall gingen die Lichter an. Michail drückte ihm die Klinge in das weiche Gewebe unterhalb der Rippen, die Spitze des Messers zielte direkt Richtung Herz. «Denken Sie nicht mal daran, um Hilfe zu rufen», warnte er ihn. «Sie sind tot, bevor Sie auch nur einen Ton von sich gegeben haben.»
Als sie über den schmalen Grasstreifen zwischen den parkenden Autos und der hüfthohen Hecke gingen, schirmten die Georgier Knox vor den Blicken der wenigen Passanten ab, die in der Nähe waren. Obwohl die Leute mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt waren und gar nicht in seine Richtung schauten. Ein Mann gab seiner Liebsten einen Abschiedskuss. Ein anderer hievte Gepäck in seinen Kofferraum. Michail presste Knox das Messer die ganze Zeit so fest gegen den Bauch, dass er spürte, wie Blut zu tropfen begann. Und dennoch ging er weiter. Er musste an all die Dokumentarfilme denken, die er über die Jahre gesehen hatte, an die grobkörnigen Bilder von halbnackten, ausgehungerten Gefangenen, die in einen Wald getrieben wurden. Es hatte ihn verblüfft und bedrückt, dass sie derart ruhig und stumm in den Tod gegangen waren. Wehrt euch, spuckt euren Wachen ins Gesicht, lauft davon, tut irgendwas! Kann es denn noch schlimmer werden? Doch jetzt verhielt er sich genauso. Und für diese sinnlosen zusätzlichen Minuten hatte er auch noch Gaille verraten. Der Gedanke war brutal und bitter. Seine Schritte stockten, taumelnd blieb er stehen.
«Und?», fragte Michail. «Ist das die Stelle?»
FÜNFUNDDREISSIG
I
Die Symbole, die in die verschiedenen Steinplatten gemeißelt waren, stimmten mit denen auf der Rückseite des Diskos von Phaistos überein. Es gab keinen Zweifel. Blieb nur die Frage, was das zu bedeuten hatte. Gaille grübelte eine Weile darüber nach, kam aber zu keiner eindeutigen Lösung. Vielleicht hatte Iain später eine Idee. Sie legte den Diskos beiseite, ging zurück zu den Regalen und zog wahllos einen Ordner aus den Drahtgestellen hervor. Er enthielt Fotos, die in einer Höhle aufgenommen worden waren und mehrere, mit primitiven Votivgaben gefüllte Nischen zeigten. Die Artefakte sahen präminoisch aus, aber sie war keine Expertin. Ein zweiter Ordner dokumentierte die Ausgrabung eines Schachts von ungefähr einem Meter Länge und einem halben Meter Breite. Abgeheftet waren archäologische Standardfotos von verschiedenen Funden in ihrer originalen Lage und mit Maßstab sowie eine Karteikarte mit Datum und Referenznummer, die vermutlich auf einen der Kartons verwies.
Nachdem sie ein paar weitere Ordner durchgeschaut hatte, fand sie einen mit Fotos von der Felswand, die das Haus umgab. Als sie die Bilder gerade wieder weglegen wollte, fiel ihr auf einer Aufnahme etwas Seltsames auf. Sie ging wieder zur Werkbank, wo das Licht besser war. Tatsächlich. Auf halber Höhe der Felswand hockte im Schatten eines Baumes ein Mann in einem dunklen Hemd und Jeans. Sie schaute genauer hin, aber er war zu weit von der Kamera entfernt, um ihn zu erkennen. Doch eines war klar: Petitier war beobachtet worden, und er hatte es gewusst. Kein Wunder, dass er unruhig geworden war und versucht hatte, mit seiner Entdeckung an die Öffentlichkeit zu gehen, bevor ein anderer es tat.
Sie stellte den Ordner zurück. Da die Aufzeichnungen offenbar chronologisch geordnet waren, beschloss Gaille, mit den aktuellsten anzufangen. Einer der ersten Ordner, die sie aufschlug, enthielt weitere Fotos von dem hinabspähenden Mann, allerdings war er anders gekleidet und befand sich an einem anderen Abschnitt der Felswand. Doch diese Bilder waren wesentlich schärfer und klarer. Hatte Petitier sich aus Sorge extra ein Teleobjektiv zugelegt? Auf dem ersten Foto schaute der Eindringling durch ein Fernglas, sodass Gaille sein Gesicht nicht sehen konnte. Aber auf dem zweiten war er deutlich zu erkennen. Ihre Knie wurden weich, und sie musste sich am Regal abstützen.
Es war Iain.
II
Es geschah ohne Vorsatz, ohne Planung. In Zaal hatte sich einfach ein Schalter umgelegt, als er beobachtete, wie Michail und die anderen Knox über den Grasstreifen führten, ohne dass einer von ihnen auch
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