Waechter des Labyrinths
und sich nur noch aus reiner Gewohnheit an der Wand zu halten.
Jedes Foto zeigte eine einzelne Pflanze oder Pilzsorte, manche waren in der Natur aufgenommen, andere wiederum in Petitiers Gewächshaus oder abgeerntet in seiner Küche. An vielen Fotos waren mit Heftklammern handgeschriebene Notizen befestigt, bei denen es sich um Zubereitungsmethoden sowie um Informationen über Dosierungen, Erfahrungen und Gegenmittel handelte.
Außerdem gab es ein Regal voller Bücher, darunter ein Verzeichnis der bewusstseinserweiternden Pilze, eine Abhandlung über afrikanische Ethnobotanik und ein Band über heidnische Schamanenkulte, Aldous Huxleys Die Pforten der Wahrnehmung , Wasson, Ruck und andere ihr kaum bekannte Autoren. Sie zog ein Handbuch über Halluzinogene hervor und blätterte es durch. Bei der Aquarellzeichnung eines Myristica fragrans hielt sie inne, dann bei einem wundervollen Bild von einer Galbulimima belgraveana , aus der man ein Narkotikum gewann, das die Eingeborenen Papuas verwendeten.
Sie ging wieder hinaus und betrat durch die gegenüberliegende Tür den dritten Kellerraum, der bedeutend größer als die anderen und mit mehreren Lampen ausgestattet war. Den meisten Platz beanspruchten Metallregale, auf denen graue Archivkartons und Drahtgestelle voller Ordner standen. Teilweise waren sie älter als ein Jahrzehnt, wie die Daten auf den Außenseiten zeigten, auf denen sich auch einige von Petitiers unverständlichen Hieroglyphen befanden. Sie zog wahllos einen Karton hervor und öffnete ihn. Vier Siegelfragmente lagen darin, jedes einzeln in Zellpapier eingewickelt. Nachdem Gaille sie ausgepackt hatte, sah sie, dass jedes mit Linear-A-Symbolen geprägt war. Sie packte sie wieder ein, stellte den Karton zurück, ging am Regal entlang und zog alle paar Schritte einen anderen Karton hervor. In ihnen entdeckte sie Keramikscherben, die mit Pflanzen und Tieren bemalt waren; eine primitive Tonfigurine einer hochschwangeren Frau; eine kleine, aber feine vielfarbige Vase; Fragmente von Marmor und anderen Steinen sowie einen Bronzedolch, dessen Griff und Klinge reich verziert waren.
Mit dem letzten Karton ging sie hinüber zur Werkbank, wo das Licht besser war. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie den Dolch umdrehte. Sosehr sie diese Kunstschätze auch begeisterten, so sehr verübelte sie es Petitier, dass er sie für sich behalten hatte. An der Wand über der Werkbank hingen ungefähr ein Dutzend Fotos, die spiralförmig angeordnet waren. Jedes war draußen in der Natur aufgenommen worden und zeigte eine andere Steinplatte, in jeden Stein waren mindestens zwei Symbole gemeißelt. Sie erinnerte sich an die Symbole auf der Steinplatte, die sie auf dem Felsgrat gesehen hatte. Nach einer Weile fand sie auch davon ein Foto, und plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie lief nach oben, nahm die Kopie des Diskos von Phaistos und ging wieder runter. Tatsächlich. Die Symbole auf der Scheibe ähnelten denen auf den Fotos, allerdings waren sie anders angeordnet. Doch als sie den Diskos umdrehte, lief ihr ein Schauer über den Rücken.
II
Zaal hatte sich seitlich auf den Fahrersitz gesetzt und den Rücken an die Tür gelehnt, um Nadja besser im Blick zu haben. Das Sonnenlicht des späten Nachmittags wurde durch die getönten Scheiben gebrochen und warf einen verschwommenen Regenbogen auf den Stahlkoffer. Was für ein Haufen Geld! Seine Gedanken schweiften ab, und er sah sich in teuren Klamotten an der Riviera zu seiner Luxusjacht schlendern, verfolgt von den schmachtenden Blicken schöner Frauen, die für ihre Männer plötzlich keine Augen mehr hatten.
«Wie viel ist dadrin?», fragte Nadja.
Zaal verabschiedete sich widerwillig von seiner Tagträumerei. «Das geht Sie nichts an.»
«Er muss Ihnen unglaublich vertrauen.»
«Ja. Kann er auch.»
«Trotzdem, es ist bestimmt schrecklich viel Geld.»
Zaal lachte und schüttelte den Kopf. «Halten Sie mich für verrückt? Haben Sie eine Ahnung, was er mit mir machen würde?»
Nadja zuckte mit den Schultern. «Er wird keinem Menschen mehr etwas antun können, wenn er erst mal im Gefängnis sitzt.»
«Wenn er überhaupt ins Gefängnis kommt.»
«Oh, das wird er ganz bestimmt», erwiderte Nadja. «Haben Sie es immer noch nicht kapiert? Ihr Freund Edouard hat gesungen. Die Polizei wird schon auf Sie warten, wenn Sie ins Flugzeug steigen. Das hier ist der letzte Moment in Freiheit, den Sie für die nächsten dreißig Jahre genießen können.»
Er zog warnend an der Schlinge.
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