Waechter des Labyrinths
können Sie mit Ihrer Frau sprechen. Aber in der Zwischenzeit überlegen Sie sich bitte, wie man am besten ein Goldenes Vlies für mich machen kann.»
FÜNFZEHN
I
Der alte Pfad führte Knox und Franklin hinauf zur natürlichen Pyramide des heiligen Bergs. Auf beiden Seiten lagen umgestürzte Ruinen im hohen Gras, Wildblumen, Löwenzahn, Butterblumen und leuchtend roter Mohn blühten darin. Oben auf dem Gipfel stand ein verfallener Turm mit einer Uhr, die eine falsche Zeit anzeigte, daneben flatterte schlaff eine griechische Fahne. «Petitier war anders als wir», sagte Franklin. «Zum einen war er älter und beruflich viel weiter. Ich erinnere mich, dass er in Paris gelehrt hat, obwohl seine Zeit dort ungut endete. Ein Freund verschaffte ihm hier eine Stelle an der französischen Schule. Die verfügte natürlich über eigene Wohnheime, aber er hatte dort mit jemandem Streit gehabt und ist daher bei uns eingezogen. Uns war das ganz recht. Einer mehr, der Miete zahlte, und frisches Blut für unsere nächtlichen Debatten. Sie kennen ja das Studentenleben.»
«Ja.»
«Wenn ich ehrlich bin, ist es mir allerdings schleierhaft, wie er das alles verkraftet hat. Für uns war es ja kein Problem, wir schrieben alle an unseren Doktorarbeiten oder so, wir konnten es uns erlauben, jede Nacht durchzumachen. Aber er musste tagsüber arbeiten. Auch wenn sein Job nicht besonders anstrengend war, nach allem, was ich mitgekriegt habe. Er erledigte hauptsächlich Verwaltungsaufgaben, musste Briefe beantworten und solche Sachen. Im Grunde war er dafür völlig überqualifiziert, denn auf seine Art war er brillant. Nehmen Sie zum Beispiel meine dorische Wanderung. Ich hatte die herkömmliche Meinung einfach übernommen, ohne ein Wort zu hinterfragen. Für mich war es selbstverständlich gewesen, dass sie richtig sein musste , weil so viele Leute, die jede Menge Titel hatten, das behaupteten. Aber Petitier dachte nicht so. Er sah es fast als erwiesen an, dass jede etablierte Darstellung falsch sein muss. Er hat mir ständig Fragen gestellt, auf die es keine adäquate Antwort gab. Er wusste das natürlich genau, und jedes Mal, wenn ich ins Stolpern geriet, hat er sich über mich lustig gemacht. Natürlich schrumpfte mein Selbstvertrauen danach noch mehr zusammen, und nachts im Bett lag ich grübelnd wach. Aber eines Nachts widerfuhr mir etwas, das ich nur als Erscheinung beschreiben kann, eine plötzliche Eingebung, ein völlig offensichtlicher, aber bis dahin unvorstellbarer Gedanke: Es hatte keine dorische Wanderung gegeben, es waren keine indogermanischen Stämme aus dem Norden eingefallen. Diese Auffassung war reine Erfindung, das Werk politischer Propaganda, etwas, das nicht aufgrund, sondern trotz aller Beweise erschaffen wurde.»
«Ist das nicht ein bisschen übertrieben?»
«Schauen Sie mich an, Mr. Knox! Sehe ich für Sie europäisch aus?»
«Wenn Sie mich so fragen: ja.»
Franklin lachte. «Na ja, ich fühle mich nicht so. Ich habe mich noch nie europäisch gefühlt. In Amerika war das etwas anderes. Dort fühlte ich mich zu Hause, es war normal. Mein Vater war schwarz, meine Mutter Griechin. Und? Mischehen waren nichts Besonderes in Washington, D.C. Doch dann wurde meine Großmutter mütterlicherseits krank, und wir kamen her, um sie zu pflegen. Eigentlich sollte sie nur noch ein paar Wochen leben, aber sie war eine Kämpferin. Sechs Monate vergingen. Ein Jahr. Mein Vater hat es gehasst. Schwarze waren damals eine echte Seltenheit in Griechenland. Er war ein hochintelligenter Mann, aber er konnte keine Arbeit finden, schon gar nicht als Lehrer. Und da meine Mutter nicht abreisen wollte, solange meine Großmutter im Sterben lag, hat mein Vater schließlich seine Sachen gepackt und ist abgehauen, zurück nach Washington. Dafür habe ich ihn gehasst. Ich brannte vor Wut, auch wenn ich gut darin war, sie zu unterdrücken. Inzwischen ist mir natürlich klar, dass es für ihn nicht leicht war.» Er winkte ab, als wollte er andeuten, dass es in jeder Familie Probleme gab. «Es war selbst für mich nicht leicht, obwohl ich eine griechische Mutter hatte und die Sprache ziemlich fließend beherrschte, da meine Mutter zu Hause immer griechisch mit mir geredet hat. Meine Mitschüler haben mich gehänselt, weil ich anders war, so wie Kinder es eben tun. Ich war nie ein Athlet oder Kämpfer, deshalb blieb mir nur eine Möglichkeit, mich zu beweisen: durch gute Noten.»
Am Wegesrand lagen massive Blöcke von Marmorsäulen,
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