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Wächter

Wächter

Titel: Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baxter Clarke
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einen Brief, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Mrs. White hier war so freundlich, mir schon einiges über Sie zu berichten. Aber ich will offen mit Ihnen sprechen, Miss Dutt; ich interessiere mich nur insofern für Ihre Biographie - egal aus welcher Zeit Sie kommen -, wie sie mich und meine Stadt betrifft. Sie werden das sicher verstehen.«
    »Gewiss.«
    »Und nun unterbreiten Sie mir die Nachricht, dass die Welt vor dem Untergang stehe. Ist das richtig?«
    Der ältere Mann in der verhuscht wirkenden Gruppe hinter ihm hob einen Finger. »Nicht ganz, Herr Bürgermeister. Die Dame stellt die Behauptung auf, dass das Weltall vor dem Untergang stehe. Aber die Weiterung ist natürlich, dass es unsere Welt in seinen Sog ziehen wird.« Er lachte unterdrückt, als ob er eine akademische Pointe platziert hätte.
    Rice starrte ihn an. »Na, wenn das nicht die größte Spitzfindigkeit aller Zeiten ist. Miss Dutt, das ist Gifford Oker - Professor der Astronomie an unserer nagelneuen Universität von Chicago. Zumindest war sie neu, als wir alle eingefroren wurden. Ich habe ihn hergebeten, weil es scheint, dass Sie ein astronomisches Thema zu erörtern haben und weil er derjenige ist, der von unseren Leuten einem Experten am nächsten kommt.«
    Oker war ungefähr fünfzig, ergraut, die Augen waren hinter einer dicken Brille verborgen, und ein buschiger Schnäuzer machte die Tarnung perfekt. Er umklammerte eine abgewetzte lederne Aktentasche. Er trug einen schäbigen Anzug mit verkratzten Manschetten und Aufschlägen, und Ellbogen und Knie waren mit Ledereinsätzen verstärkt. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich über einwandfreie Referenzen verfüge. Zur Zeit der Erstarrung war ich Student bei George Ellery Hale, dem bekannten Astronomen - vielleicht haben Sie schon von ihm gehört? Wir wollten eine neue Sternwarte in der Williams Bay errichten, die mit modernen Instrumenten ausgestattet
werden sollte - einschließlich eines Vierzig-Zoll-Refraktors. Es wäre das größte Fernrohr der Welt gewesen. Aber es sollte nicht sein, es sollte nicht sein. Es ist uns immerhin gelungen, ein Beobachtungsprogramm mit den Fernrohren aufrechtzuerhalten, die in der ›Zeitscheibe‹ bewahrt wurden, wie Sie es nennen, Miss Dutt. Aber sie waren zwangsläufig kleiner und nicht so stark. Und wir haben auch spektroskopische Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse - nun, erstaunlich sind.«
    Abdi beugte sich nach vorn. »Professor, ich habe selbst auch Astronomie in Babylon praktiziert. Wir haben Ergebnisse erlangt, die teilweise auf Bisesas Vorhersagen beruhen. Wir müssen unsere Informationen austauschen.«
    »Gewiss.«
    Rice warf einen Blick auf Emelines Brief. »›Das Zurückweichen der entfernten Sterne‹. Darüber möchten Sie also sprechen.«
    »Ganz recht«, sagte Abdi. »Einfach ausgedrückt verhält es sich so, als ob die Sterne sich in alle Richtungen von der Sonne entfernen würden.«
    Rice nickte. »Okay. Das habe ich so weit verstanden. Und was nun?«
    Oker seufzte. Er setzte die Brille ab, hinter der sich tief liegende, müde Augen offenbarten, und putzte die Brillengläser mit der Krawatte. »Sehen Sie, Herr Bürgermeister, das Problem ist folgendes: Wieso sollte nur die Sonne im Mittelpunkt solch einer Ausdehnung stehen? Das verstößt gegen das grundlegende Prinzip der Gleichverteilung. Wenn wir auch die Erstarrung durchlebt haben, das wohl bedeutendste Ereignis seit dem Beginn der Geschichtsaufzeichnung, gelten solche Grundsätze sicher noch weiterhin.«
    Bisesa musterte diesen Professor Oker und fragte sich, welchen Wissensstand er wohl hatte. Er hatte offensichtlich einen scharfen Verstand, und es war ihm auch gelungen, unter den widrigsten Umständen eine akademische Karriere - im Rahmen
des Möglichen - zu verfolgen. »Wie lautet also Ihre Interpretation, Sir?«
    Er setzte die Brille auf und schaute sie an. »Dass wir keine privilegierten Beobachter sind. Dass, wenn wir auf einer Welt von Alpha Centauri lebten, dasselbe Phänomen beobachten würden - das heißt, wir würden die entfernten Sterne gleichförmig vor uns zurückweichen sehen. Das kann nur bedeuten, dass der Äther selbst sich ausdehnt - das heißt das unsichtbare Material, in dem alle Sterne treiben. Das Weltall geht auf wie ein Hefekuchen, und die Sterne, die wie Rosinen in diesen Kuchen eingebettet sind, entfernen sich voneinander. Dabei hat jede Rosine den Eindruck, als ob sie der alleinige Ruhepunkt im Zentrum der Ausdehnung sei …«
    Bisesas

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