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Wächter

Wächter

Titel: Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baxter Clarke
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…«
    »Ach, halt die Klappe«, sagte sie und wandte sich an Emeline: »Erzählen Sie mir etwas über Bürgermeister Jacob Rice.«
    »Er ist erst um die dreißig - nach der Erstarrung geboren.«
    »Und der Sohn eines Bürgermeisters?«
    Emeline schüttelte den Kopf. »Nicht ganz …«
    Die Stunde der Diskontinuität war ein Schock für die Chicagoer gewesen. Es hatte nämlich schon im Juli zu schneien begonnen. Aufgeregte Hafenarbeiter meldeten Eisberge auf dem Michigan-See. Und von den Büros in den Obergeschossen der Rookery, der »Krähenkolonie«, und des Montauk erkannten Geschäftsleute im Norden eine fahle weiße Linie am
Horizont. Der Bürgermeister war zu diesem Zeitpunkt verreist.
    Sein Stellvertreter versuchte verzweifelt, Ferngespräche nach New York und Washington anzumelden, doch vergeblich; falls Präsident Cleveland überhaupt noch lebte, dort jenseits des Eises, vermochte er Chicago jedenfalls nicht zu helfen und auch keine weiterführenden Hinweise zu geben.
    Die Lage verschlechterte sich schnell in jenen ersten Tagen. Als die Lebensmittelknappheit zu Unruhen führte und schon alte Leute erfroren, als die Vorstädte in Brand gesetzt wurden, traf der stellvertretende Bürgermeister seine beste Entscheidung. Im Bewusstsein, an die Grenzen seiner Möglichkeiten gestoßen zu sein, gründete er ein Notstands-Komitee, das einen repräsentativen Querschnitt der Prominenz der Stadt darstellte. Es umfasste den Polizeichef, die Kommandeure der Nationalgarde, führende Geschäftsleute, Grundbesitzer und die Führer der mächtigen Gewerkschaften von Chicago. Dem Ausschuss gehörten auch Jane Addams, die »Heilige Jane« an, eine bekannte Sozialreformerin, die ein Frauenhaus namens Hull House gegründet hatte und Thomas Alva Edison, der große Erfinder. Er war zu dieser Zeit siebenundvierzig Jahre alt und durch die Erstarrung hierher verschlagen worden; und er sehnte sich nach seinen verlorenen Laboratorien in New Jersey.
    Und dann war da noch Oberst Edmund Rice, ein Veteran von Gettysburg, der die Kolumbus-Garde befehligt hatte: eine eigens für die Weltausstellung, die ein Jahr zuvor stattgefunden hatte, aufgestellte Polizeitruppe. Der stellvertretende Bürgermeister trat sein Amt als Vorsitzender des Komitees mit dem größten Vergnügen an Rice ab.
    Das Komitee verhängte das Kriegsrecht über die Stadt, um der ausufernden Kriminalität Herr zu werden, und ordnete die Lebensmittelrationierung und Sperrstundenverordnung neu, die der stellvertretende Bürgermeister überhastet erlassen hatte. Rice gründete neue medizinische Zentren, wo ein straffes Triage-System implementiert und Notfriedhöfe angelegt
wurden. Und als die Stadt sich selbst verzehrte, um sich zu wärmen, und die Menschen noch immer wie die Fliegen starben, begannen sie für die Zukunft zu planen.
    »Schließlich wurden die Aktivitäten des Notstands-Komitees wieder ins Büro des Bürgermeisters eingegliedert«, sagte Emeline, »aber Rice selbst wurde nie zum Bürgermeister gewählt.«
    »Und nun ist sein Sohn der Bürgermeister«, murmelte Abdi. »Ein nicht gewählter Führer, der Sohn eines Führers. Ich wittere hier eine Dynastie.«
    »Wir können uns kein Papier für Wahlzettel leisten«, sagte Emeline pikiert.
    Bürgermeister Rice kam in den Raum geeilt. Er wurde von einem kleinen Aufgebot nervös blickender Männer gefolgt, Büroangestellte vielleicht. Ein älterer Mann trug eine Aktentasche.
    »Miss Dutt? Und Mister … äh … Omar. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Und Sie wieder zu sehen, Mrs. White …«
     
    Jacob Rice war ein molliger junger Mann und in feinen Zwirn gehüllt, der keinerlei Anzeichen von Flickwerk zeigte. Sein schwarzes Haar lag glatt am Kopf an, vielleicht von einer Art Pomade geglättet, das Gesicht war schmal, und die kalten blauen Augen hatten einen stechenden Blick. Er servierte ihnen Brandy in edlen Kristallgläsern.
    »Folgendes, Miss Dutt«, hob er an. »Ich freue mich, dass Sie erschienen sind. Ich lege nämlich Wert darauf, mit jedem Besucher der Stadt aus der Außenwelt zu sprechen. Auch wenn es sich größtenteils um diese griechischen Kameraden handelt, die zu nichts gut sind als für den Geschichtsunterricht, und um ein paar Briten, die ungefähr aus unserer Zeit stammen - ist das so weit richtig?«
    »Die Zeitscheibe ›Nordwestgrenze‹ stammte aus dem Jahr 1885«, sagte sie. »Ich wurde von ihr erfasst. Eigentlich komme ich aber aus …«

    »Dem Jahr des Herrn 2037.« Er tippte auf

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