Wächter
beträchtliche Mittel. Aber sie vertraute Myra dennoch, auch wenn das nun eine fremde neue Myra war, schlagartig gealtert und verbittert - ein neuer Mensch, zu dem sie erst wieder eine neue Beziehung aufbauen musste. Aber sie hatte auch keine andere Wahl.
Sie landeten in Orlando und verbrachten die Nacht in einem billigen Touristenhotel in der Stadt.
Bisesa wunderte sich darüber, dass die Menschen noch immer kreuz und quer durch die Welt zu solchen Zielen flogen. Myra sagte, das seien hauptsächlich nostalgische Anwandlungen. Die neuesten Virtual-Reality-Systeme vermochten durch direkte Kopplung mit dem Zentralnervensystem sogar das Gefühl von Geschwindigkeit und Beschleunigung zu simulieren. Man konnte auch um die Jupiter-Monde fliegen, wenn man wollte. Welcher Themenpark vermochte damit noch zu konkurrieren? Als die letzten Angehörigen der Prä-Sonnensturm-Generation es schließlich aufgaben, ihre Kindheitsträume zu verwirklichen und wegstarben, schien es so, als ob die meisten Menschen sich nicht mehr allzu weit aus der Deckung ihrer bunkerartigen Häuser wagen würden.
Vom Zimmerservice ließ Myra für sie beide etwas zu essen bringen, sie tranken Wein aus der Minibar und schliefen schlecht.
Am nächsten Morgen wartete ein führerloses Fahrzeug vor dem Hotel auf sie. Es war eine seltsame, kompakte Konstruktion, die Bisesa noch nie gesehen hatte.
Sie stiegen also ein und fuhren mit einem Tempo davon, das Bisesa halsbrecherisch anmutete. Der Verkehr war so dicht, dass die Fahrzeuge einander förmlich an den Stoßstangen klebten. Deshalb machte es ihr auch nichts aus, als die Fenster sich wie silbernes Milchglas eintrübten. Sie und Myra saßen in einer Stille, die nur durch ein leises Summen untermalt wurde. Und dass sie überhaupt in Bewegung waren, merkten sie nur an sachten Schwingungen des Fahrzeugs.
Schließlich hielten sie an, die Türen glitten zurück und helles Sonnenlicht strömte in das Fahrzeug. Bisesa hörte das Schreien von Möwen und hatte den unverkennbaren Salzgeruch des Meeres in der Nase.
»Komm!« Myra stieg aus dem Fahrzeug und half ihrer Mutter, die ihr steifbeinig folgte.
Es war erst März, aber dennoch schlug Bisesa eine enorme Hitze entgegen. Sie befanden sich auf einer Asphaltspiste - es war weder eine Straße noch ein Parkplatz, sondern es schien sich eher um eine Startbahn zu handeln, die sich in die Ferne erstreckte und von Holzhäusern gesäumt wurde. Am Horizont sah sie Starttürme, von denen manche so verrostet waren, dass sie orange leuchteten. Und sie waren so weit entfernt, dass sie am Horizont verschwammen. Im Norden - es musste Norden sein, dem Wind nach zu urteilen, der von See wehte - sah sie etwas schimmern. Eine Art Linie, die sich in einer steilen Diagonale durch den Himmel zog. Schwer zu sagen, worum es sich dabei handelte. Vielleicht war es so etwas wie ein Kondensstreifen.
Es bestand kein Zweifel daran, wo sie war. »Cape Canaveral, nicht wahr?«
Myra grinste. »Wo denn sonst? Erinnerst du dich, dass du schon einmal mit mir einen Ausflug hierher unternommen hast? Damals war ich sechs Jahre alt.«
»Ich nehme an, es hat sich seitdem einiges verändert. Ich werde mich überraschen lassen, Myra.«
»Willkommen zurück auf Canaveral.« Ein junger Mann näherte sich ihnen, gefolgt von einem smarten Koffer. Der Mann trug auch eine Identifikations-Tätowierung und schwitzte in seiner wattierten orangefarbenen Springerkombi, die mit NASA-Logos übersät war.
»Wer sind Sie denn - etwa ein Reiseführer?«
»Hi, Alexej«, sagte Myra. »Hören Sie gar nicht auf meine Mutter. Sie ist nach neunzehn Jahren mit dem falschen Fuß aufgestanden.«
Er reichte ihnen die Hand. »Alexej Carel. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Dutt. Ich glaube, in gewisser Weise bin ich für heute doch Ihr Reiseführer.«
Er war fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig und ein gut aussehender Junge, wie Bisesa fand, mit einem offenen Gesicht und einem kahl geschorenen Kopf, der durch den dunklen Schatten aber von einem starken schwarzen Haarwuchs kündete. Aber er schien sich unbehaglich zu fühlen, als ob er es nicht gewohnt sei, sich im Freien aufzuhalten. Bisesa fühlte sich wie ein Botschafter aus der Vergangenheit und wollte einen guten Eindruck auf diesen Sonnensturm-Sprössling machen. Sie ergriff seine Hand. »Nennen Sie mich Bisesa.«
»Wir haben nicht viel Zeit.« Er schnippte mit den Fingern, und der Koffer öffnete sich. Er enthielt zwei weitere, fein
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