Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wächter

Wächter

Titel: Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baxter Clarke
Vom Netzwerk:
solle.
    Sie setzte sich vorsichtig und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie hatte eigentlich keine Lust, sich mit diesem Mann zu unterhalten, aber sie war neugierig. »Stellen diese Schnitzereien Götzen dar?«

    »Ein paar. Die Damen mit den großen Busen und den dicken Bäuchen. Sie dürfen einen Blick darauf werfen, wenn Sie mögen. Aber passen Sie auf die bemalten Köpfe auf.«
    »Wieso?«
    »Weil es echte Schädel sind. Isobels Leute begraben ihre Toten nämlich direkt unter den Böden ihrer Häuser. Aber sie trennen ihnen zuvor den Kopf ab, verkleistern sie mit Lehm und malen sie an - das Ergebnis sehen Sie hier.«
    Emeline schaute unbehaglich auf den Boden und fragte sich, was für ein Horror sich wohl unter dem gefegten Boden verbarg, auf dem sie saß.
    Das Mädchen Isobel kehrte mit einem Krug und einem Brotkorb zurück. Wortlos schenkte sie Wein in zwei Becher ein; er war warm und leicht salzig, aber Emeline trank ihn dankbar. Das Mädchen schnitt mit einer Steinklinge Stücke von einem steinharten Brotlaib und stellte eine Schüssel Olivenöl zwischen sie. Emeline folgte Blooms Beispiel, tunkte das Brot ins Öl, um es aufzuweichen und kaute es dann.
    Sie bedankte sich bei Isobel für die Verköstigung. Doch die junge Frau zog sich zu ihrem schlafenden Baby zurück. Emeline hatte den Eindruck, dass sie verängstigt war - als ob es schlimm wäre, wenn das Baby aufwachte.
    »Isobel?«, fragte Emeline.
    Bloom zuckte die Achseln. »Das ist natürlich nicht der Name, den ihre Eltern ihr gegeben haben, aber das ist nun wirklich egal.«
    »Es kommt mir so vor, als ob Sie hier ein leichtes Leben hätten, Mr. Bloom.«
    Er grunzte. »Ist gar nicht so leicht. Aber wissen Sie, Mrs. White, ein Mann muss leben, und wir sind weit entfernt von Chicago! Ihr geht es jedenfalls gut. Was glauben Sie, was für ein Tier von Mann die hätte, wenn ich nicht wäre?
    Und sie lebt glücklich und zufrieden im Haus ihrer Vorfahren. Ihre Leute haben seit Generationen hier gelebt, müssen Sie wissen - ich meine genau hier an diesem Ort. Die Häuser
bestehen aus Lehm und Stroh, und wenn sie einstürzen, bauen sie einfach ein neues nach dem Vorbild des alten, in dem schon ihr Großvater gelebt hatte. Der Misthaufen ist nämlich kein Hügel, müssen Sie wissen, sondern nichts anderes als eine Anhäufung von Ruinen. Diese antiken Menschen haben kaum eine Ähnlichkeit mit uns Christen, Mrs. White! Aus diesem Grund hat der Stadtrat mich auch hier eingesetzt. Wir wollen keine Reibereien.«
    »Was für Reibereien?«
    Er musterte sie. »Nun, diese Frage müssen Sie schon selbst beantworten, Mrs. White. Wer nimmt denn schon eine so beschwerliche Reise auf sich, wie Sie es getan haben?«
    »Ich bin im Gedenken an meinen Mann hierher gekommen«, sagte sie hitzig.
    »Sicher. Ich weiß. Aber Ihr Mann stammte aus diesem Gebiet - ich meine aus einer angrenzenden Zeitscheibe. Die meisten Amerikaner haben im Gegensatz zu Ihnen hier keine persönlichen Bindungen. Sie wollen wissen, weshalb so viele Leute hierher kommen? Jesus.« Er bekreuzigte sich, als er den Namen aussprach. »Sie kommen hierher, weil sie nach Judäa pilgern wollen. Sie hoffen dort eine heilige Zeitscheibe zu finden, die ein Beweis für die Auferstehung Christi ist. Das wäre doch schon ein Trost dafür, aus der Welt gerissen zu werden, nicht?
    Aber es gibt keinerlei Anzeichen von Jesus in Judäa - in diesem Judäa. Das ist die grausame Wahrheit, Mrs. White. Alles, was es dort zu sehen gibt, sind König Alexanders Dampfmaschinen-Höfe. Ich weiß jedenfalls nicht, was die ausgebliebene Auferstehung in dieser Welt für unsere unsterblichen Seelen bedeutet. Und wenn die frommen Dummköpfe dann mit den gottlosen Heiden aneinandergeraten, die in Judäa ansässig sind, dann resultiert das in Vorkommnissen, die man durchaus als ›diplomatische Verwicklungen‹ bezeichnen könnte.«
    Emeline nickte. »Aber moderne Amerikaner haben doch sicher nichts von einem Eisenzeit-Kriegsherrn wie Alexander zu befürchten …«

    »Aber, Frau White«, rief eine neue Stimme, »dieser ›Kriegsherr‹ hat bereits ein neues Reich gegründet, das sich vom Atlantik bis ans Schwarze Meer erstreckt - ein Reich, das seine ganze Welt umspannt. Wir wären alle gut beraten, wenn Chicago jetzt noch keine Konfrontation mit ihm suchen würde.«
     
    Emeline drehte sich um. Ein kleinwüchsiger, stämmiger Mann kletterte steif die Treppe herab. Er wurde von einem jüngeren, schlankeren Mann gefolgt. Sie beide

Weitere Kostenlose Bücher