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Wächter

Wächter

Titel: Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baxter Clarke
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schwächer geworden.
    »›Doch bin ich standhaft wie des Nordens Stern, des unverrückte, ewig stete Art nicht ihresgleichen hat am Firmament‹«, sagte Aristoteles, »Shakespeare.«
    »So viel zu Shakespeare!«, sagte Athene.
    »Das ist das Werk der Erstgeborenen.« Diese Feststellung von Thales war offensichtlich, aber dennoch erschreckend. Diese drei waren die ersten Intelligenzen der Erde, die begriffen, wie weit der Arm der Erstgeborenen wirklich reichte.
    » Zeugin, es muss dich schwer treffen, das Ende deiner Art mitzuerleben«, sagte Aristoteles ernst.
    Die Zeugin hatte selbst schon versucht, dieses Gefühl für sich auszudrücken. Jeder Tod war schmerzlich. Aber es war doch immer ein Trost gewesen, dass das Leben weiterging und dass der Tod Teil eines ständigen Erneuerungsprozesses war, einer unendlichen Geschichte. Aber mit dem Aussterben waren auch alle Geschichten zu Ende.
    »Wenn ich nicht mehr bin, wird das Werk der Erstgeborenen vollendet sein.«
    »Vielleicht«, sagte Aristoteles. »Aber es muss nicht so sein. Vielleicht haben die Menschen die Erstgeborenen überlebt.«
    »Wirklich?«

    Sie erzählten ihr die Geschichte vom Sonnensturm.
    Die Zeugin nahm erschüttert zur Kenntnis, dass ihre Art nicht das einzige Opfer dieser kosmischen Gewalttäter war. Irgendetwas regte sich in ihr - unbekannte Gefühle. Zorn. Trotz.
    »Schließ dich uns an!«, sagte Athene mit dem für sie typischen Temperament.
    »Aber sie ist die Letzte ihrer Art«, sagte Thales und konstatierte damit das Offensichtliche.
    »Aber sie ist noch nicht tot«, sagte Aristoteles fest. »Wenn die Zeugin der letzte lebende Mensch wäre, würden wir einen Weg finden, sie zu reproduzieren oder zu konservieren. Klontechnik, Hibernacula.«
    »Sie ist nicht menschlich«, sagte Thales trocken.
    »Ja, aber das Prinzip ist dasselbe«, entgegnete Athene. »Liebe Zeugin , ich glaube, dass Aristoteles recht hat. Eines Tages werden Menschen hierher kommen. Wir können dir und deiner Art ein Weiterleben ermöglichen. Das heißt, falls das überhaupt dein Wunsch ist.«
    Das war fast zu schön, um wahr zu sein. »Weshalb sollten Menschen ausgerechnet hierher kommen?«, fragte die Zeugin .
    »Um andere zu finden, die so sind wie sie.«
    »Warum?«
    »Um sie zu retten«, sagte Athene.
    »Und was dann? Und wenn sie die Erstgeborenen finden?«
    »Dann«, sagte Aristoteles düster, »werden die Menschen auch sie retten.«
    »Gib nicht auf, Zeugin «, sagte Athene. »Schließ dich uns an.«
    Die Zeugin dachte darüber nach. Das Eis des gefrierenden Ozeans schloss sich um sie und kühlte ihr alterndes Fleisch. Aber dieser Funke des Widerstandsgeistes glomm noch tief im innersten Kern ihres Wesens.
    »Womit fangen wir an?«, fragte sie.

DRITTER TEIL
    WIEDER VEREINIGUNGEN

{26}
DER STEINMANN
    Jahr 32 (Mir)
     
    Der Konsul von Chicago holte Emeline White ab, die mit dem Zug aus Alexandria gekommen war.
    Emeline stieg vom offenen Waggon herunter. Am Kopfende des Zuges unterzogen Mönchs-Ingenieure der Schule von Othic die Ventile und Kolben der mächtigen Ölbrenner-Lokomotive einer Inspektion. Emeline versuchte, nicht den mit zerstäubtem Öl vermischten Rauch einzuatmen, den die Lok regelrecht aus dem Schornstein rülpste.
    Der Himmel war hell und ausgewaschen und das Sonnenlicht grell, aber es lag ein kalter Hauch in der Luft.
    Der Konsul näherte sich ihr mit dem Hut in der Hand. »Mrs. White? Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Ilicius Bloom.« Er trug ein Gewand und Sandalen wie ein Orientale, obwohl er den gleichen Chicago-Akzent hatte wie sie. Sie schätzte ihn auf vierzig Jahre, aber er hätte auch älter sein können; sein Teint war blass, das Haar glänzte schwarz, und durch den Schmerbauch wurde die lange purpurrote Robe wie ein Zelt aufgebauscht.
    Ein Begleiter stand neben Bloom - der massige Mann hatte den Kopf gesenkt, und seine buschigen Augenbrauen glänzten speckig. Er sagte nichts und bewegte sich auch nicht; er stand nur da wie eine Säule aus Muskeln und Knochen, und Bloom verzichtete darauf, ihn vorzustellen. Irgendwie machte er einen höchst seltsamen Eindruck. Aber Emeline wusste, dass es sie durch die Ozeanüberquerung nach Europa an einen Ort
verschlagen hatte, der noch sonderbarer war als das Amerika am Rand der Eiswüste.
    »Vielen Dank für die freundliche Begrüßung, Mr. Bloom.«
    »In meiner Eigenschaft als der hiesige Konsul von Chicago liegt mir das Wohlergehen all unserer amerikanischen Besucher am

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