Wächterin der Träume
herein.
»Entschuldigung«, sagte er mit einem scharfen Blick auf Noah. »Der Rat hat sich wieder versammelt.«
Ich tat einen zittrigen Atemzug. »Es wird Zeit, dass ich es hinter mich bringe. Komm, Noah.« Ich streckte die Hand aus.
Verek zog die Augenbrauen hoch, bemerkte aber nichts dazu, dass ich Noah mitnahm. Vermutlich wusste er, dass eine Diskussion darüber sinnlos war. Noah kam mit mir, und damit basta. Und das Gesetz? Ich war ziemlich sicher, dass es kein Gesetz dagegen gab, sich von einem Sterblichen vor den Rat begleiten zu lassen, da so etwas eigentlich gar nicht möglich war. Außerdem hatte Padera ihn bedroht, also war es auch seine Angelegenheit.
Ich »zappte« uns in die Ratshalle, wie Noah es nannte. So ging es schneller als mit der Kutsche. Manchmal ist das Warten auf eine Bestrafung schlimmer als die Strafe selbst.
Als wir hereinkamen, hatten alle ihre Plätze wieder eingenommen. Niemand wirkte besonders überrascht, dass Noah bei mir war. Padera hatte nicht einmal ein höhnisches Grinsen für ihn übrig. Sie wirkte eher ziemlich bedrückt, wie sie da neben ihrer Mutter saß, deren schönes Gesicht verkniffen aussah.
Hadria erwiderte meinen Blick mit dem ihr eigenen, seltsam tröstlichen heiteren Lächeln. Mein Vater dagegen sah so aus, wie ich mich fühlte. Seine Miene verriet nicht, ob er voller Hoffnung war oder nicht.
Gladios erhob sich. Er war nicht sehr groß – nur etwa knapp eins sechzig –, doch seine breiten Schultern und seine Ausstrahlung ließen ihn viel größer erscheinen.
»Mr Clarke, Sie werden das Amulett herausgeben, das Sie von Prinzessin Dawn erhalten haben.«
Noah schüttelte den Kopf. »Nein.«
Noahs Weigerung kam für mich nicht überraschend, dennoch überfiel mich ein wenig Angst.
»Darüber gibt es gar keine Diskussion, junger Mann.«
Mit schiefem Grinsen blickte Noah Gladios an. »Sie haben recht. Was man mir geschenkt hat, werde ich euch bestimmt nicht geben. Jemand von euch hat mich angegriffen und versucht, mich umzubringen, und eure Oberste Wächterin hat mich bedroht. Beim nächsten Mal werde ich mich zu wehren wissen.«
»Glauben Sie, dass es ein nächstes Mal gibt?«, fragte Gladios hochmütig.
Noahs Grinsen wurde noch breiter, als er mit einem Kopfnicken auf mich deutete. »Ich bin mit dem Staatsfeind Nummer eins befreundet. Daher bin ich sicher, dass es ein nächstes Mal geben wird.«
Trotz der eher pessimistischen Antwort musste ich ebenfalls grinsen, weil Noah gegen alle Widerstände zu mir hielt. Und ich würde, verdammt noch mal, auch zu ihm halten.
»Lass ihn in Ruhe, Gladios«, sagte Morpheus mit einer Stimme, so dunkel wie die Schatten hinter ihm an der Wand. Dann rieb er sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger und fügte hinzu: »Meine Feinde scheren sich nicht um die Gesetze, doch Noah sollte in der Lage sein, sich selbst und meine Tochter zu beschützen.«
»Bei allem Respekt, König Morpheus«, erwiderte der ältere Nachtmahr, »ich glaube nicht, dass es vieles gibt, wovor die Prinzessin beschützt werden muss.«
Die blassen Augen meines Vaters richteten sich auf Padera. »Außer vielleicht ihre eigene Verwandtschaft.«
Padera zuckte nicht mit der Wimper. »Werdet Ihr denn erlauben, dass sich dieses Reich vor ihr schützt?«
Mit gelangweilter Miene wandte sich Morpheus wieder an den Rat. »Wenn ihr euer Urteil gefällt habt, lasst es uns wissen. Ich habe dieses Theater satt.«
Gladios nickte zustimmend. »Auch wenn der Rat ihr Verhalten und Vorgehen nicht gutheißt, hat sich Prinzessin Dawn unserer Auffassung nach nichts zuschulden kommen lassen. Aufgrund von Paderas Geständnis befinden wir, dass Dawn in Notwehr gehandelt und ihre früheren Vergehen aus Unwissenheit oder ehrlicher Sorge um einen Sterblichen begangen hat.«
Oh, Gott sei Dank. Ich sackte an Noahs Schulter zusammen, so dass er mich mit festem Griff um die Taille stützen musste.
»Was die Handlungen der Obersten Wächterin betreffen, so stellten sie einen eklatanten Missbrauch ihrer Amtsgewalt dar. Padera versuchte nicht nur, Träumende zu beeinflussen, sondern darüber hinaus einem Mitglied der königlichen Familie Schaden zuzufügen. Wir befinden sie des Hochverrats für schuldig und entheben sie ihres Amtes als Oberste Wächterin. Ihre weitere Bestrafung überlassen wir König Morpheus.«
Meine Augen wurden groß. Mann, damit warf man sie den Löwen zum Fraß vor, nicht? Ich blickte zu meinem Vater hinüber, überzeugt davon, dass er zufrieden aussah.
Weitere Kostenlose Bücher