Wächterin der Träume
gaben mir ein Gefühl der Sicherheit, doch gleichzeitig war ich mir darüber im Klaren, dass sie den Befehl hatten, mich aufzuhalten, falls ich versuchen sollte, den Palast zu verlassen. Allerdings war mein Vater vermutlich der Einzige, der mich daran hindern konnte, zu tun, was immer mir einfiel. Ich wollte es jedoch nicht darauf ankommen lassen, zumal ich ja wusste, dass ich dann bei meiner Rückkehr ins Traumreich auf der Stelle ausgelöscht werden würde. Daran gab es nichts zu rütteln. Obwohl ich mir meine eigene kleine Traumwelt geschaffen hatte, als ich nach dem Vorfall mit Jackey Jenkins meine Natur nicht wahrhaben wollte, so kam ich doch, wie jeder andere Mensch, immer wieder ins Traumreich zurück. Das war so sicher wie der Tod und die Steuern.
Ich drückte Verek und dankte ihm für alles. Als er gegangen war, hatte ich keine Lust, in meinem Zimmer darüber nachzugrübeln, was geschehen oder nicht geschehen würde. Stattdessen ging ich in die Bibliothek, wo ich bestimmt etwas finden würde, was mich ablenkte.
Was ich fand, war meine Mutter, die lang ausgestreckt unter einer flauschigen purpurroten Decke auf einem der großen Sofas lag. Als ich die Tür hinter mir zuzog, schlug sie die Augen auf.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich.
»Hm.« Benommen richtete sie sich auf und strich sich das verstrubbelte Haar glatt. Ihre pfirsichfarbene Hose und die cremeweiße Bluse waren zerknittert – was mich seltsamerweise beunruhigte.
»Ich wusste nicht, dass du in dieser Welt auch schläfst«, sagte ich. Das tat ich zwar auch, aber schließlich war ich auch Teil dieser Welt, während Mom nur eine Träumende war.
»Bloß ein Nickerchen«, antwortete sie gähnend. »Ich brauche jetzt anscheinend mehr Schlaf als früher. Wahrscheinlich werde ich alt.«
Sie bemühte sich um einen beiläufigen Ton, aber ohne danach zu fragen, wusste ich, dass diese »Nickerchen« häufiger geworden waren, seit sich zu Hause der Arzt um sie kümmerte. Wenn sie Morpheus wirklich entgleiten sollte … Mann, ich mochte gar nicht daran denken. Mein Vater würde durchdrehen.
»Wie ist die Sache mit dem Rat gelaufen? Hat dein Vater alles in Ordnung gebracht?«
Meine Güte, was hatte er ihr bloß für einen Blödsinn erzählt? Auf diese Angelegenheit hatte er doch gar keinen Einfluss! »Sie machen gerade eine Pause«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Padera hat zugegeben, dass sie Durdan das Amulett überlassen und ihm damit zu Macht in diesem Reich verholfen hat.«
Moms Züge wurden hart. Sie wirkte müde, und was noch schlimmer war, sie sah alt aus. »So ein Biest. Ich wundere mich nur, dass sie es zugegeben hat.«
Ich konnte mich nicht erinnern, meine Mutter jemals einen solch schroffen Ton sprechen gehört zu haben. Das überraschte mich. Vielleicht bedeutete ich ihr ja doch etwas. »Es war nur, weil der Rat Madrene bestrafen wollte – das Amulett gehörte nämlich ihr.«
Die Linien um Moms Mund wurden noch tiefer. »Aha.« Sie strich mit der Hand über ihre Bluse. »Ich würde jetzt gern einen Tee trinken. Wie ist es mit dir? Soll ich welchen bringen lassen?«
So leicht durfte sie sich vor dem Thema nicht drücken! Ich konzentrierte mich auf den Couchtisch vor ihr und stellte mir vor, dass ihr Lieblingsgeschirr darauf stünde, dazu Tee, eine Platte mit Sandwiches und eine mit Scones, Marmelade und Sahne. Die Luft flirrte leicht, und für einen Augenblick verschwamm alles. Dann wurde die Sicht wieder klar, und auf dem Tisch stand das Teeservice nebst einer dampfenden Teekanne und Silberbesteck.
Mom blieb der Mund offen stehen, und ihre Augen wurden groß. Mit einer Mischung aus Bestürzung, Staunen und Mutterstolz blickte sie mich an. »Dawnie! Was du alles kannst!«
Ich dachte schon, sie würde ihrem kleinen Mädchen applaudieren. Es war ja nur eine Kleinigkeit. Trotzdem plusterte ich mich vor Stolz förmlich auf und strahlte sie an.
Ich setzte mich neben sie auf das Sofa, schenkte ihr eine Tasse Tee ein und machte ihr einen Teller zurecht, bevor ich mich selbst bediente. Während ich mir zu drei Sandwiches noch ein Scone auf den feinen Porzellanteller lud, blickte ich meine Mutter an. »Du hast es nicht gewusst, stimmt’s?«
Sie versuchte nicht, sich dumm zu stellen. Schließlich waren wir Mutter und Tochter, und ihr war klar, wovon ich sprach.
»Ich wollte es nicht wissen«, verbesserte sie mich mit einem leicht bitteren Unterton und ließ einen dicken Klecks Sahne auf ihr marmeladetriefendes Scone
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