Wächterin der Träume
einen Kunstmarkt, also schauten wir – schaute
Noah
– kurz bei Amanda vorbei (ihre Mutter war bei ihr), bevor wir in Noahs Auto stiegen und in Richtung I-87 fuhren. Es herrschte dichter, aber fließender Verkehr.
»Wirkte Amanda beunruhigt?«, fragte ich, während ich den großen weißen Van vor uns beobachtete.
»Wütend«, erwiderte Noah mit gepresster Stimme. Amanda war nicht die Einzige, die die Nachricht von einem weiteren Überfall so aufnahm.
Ich nickte nur. Überflüssig zu sagen, dass ich wünschte, die Polizei würde den Kerl schnell fassen. Und ich wusste, dass wir beide wünschten, wir könnten etwas unternehmen – Noah aus persönlichen Gründen und ich, weil ich mich für eine Halbgöttin verdammt nutzlos fühlte.
Doch die dunkle Wolke, die seit der Meldung von dem Überfall über uns geschwebt hatte, verzog sich schließlich, und bei unserer Ankunft in White Plains hatte sich unsere Laune erheblich gebessert, auch wenn wir noch immer ein wenig bedrückt waren.
Was ich empfand, hätte ich am ehesten als das Gefühl der Niederlage beschreiben können – weil dieser Kerl vielleicht mit seinen Taten davonkam und Amanda niemals Gerechtigkeit widerfahren würde. Und weil sie dann mit dem Wissen weiterleben müsste, dass »er« sich noch immer irgendwo herumtrieb.
Sagte ich schon, dass ich mich nutzlos fühlte? Seufz.
Doch als wir durch die Tür traten, kam ich auf andere Gedanken. So weit das Auge reichte, waren Tische und Stände aufgebaut, auf denen mehr Speisen, Kunstgewerbe, Kleidung und Schmuck feilgeboten wurden, als es einem willensschwachen Mädchen wie mir guttat.
Wir kauften uns Karamellplätzchen und aßen sie im Gehen. Ich konnte einem Set Silberschmuck mit Türkisen einfach nicht widerstehen. Die großen Steine waren auf Hochglanz poliert und in handgearbeitete Fassungen aus strahlendem Silber eingesetzt. Es war eindeutig sein Geld wert, und außerdem bezahlte ich mit Kreditkarte. Über die Ausgabe konnte ich mir also später Gedanken machen.
Dann erstand ich noch einen Wickelrock aus leuchtend orangefarbener Seide, der ideal fürs Haus oder für den nächsten Sommer war. Noah zeigte mir ein Kleid, das mir seiner Ansicht nach gut gestanden hätte, aber diesen Kauf erlaubte meine Geldbörse noch nicht einmal mit Hilfe meiner guten Freundin Visa. Und was machte dieser verrückte Mann? Kaufte es mir natürlich.
»Das ist eine Menge Geld für jemanden, mit dem du erst seit ungefähr einem Monat zusammen bist«, sagte ich und meinte es ernst.
Er zog einen Mundwinkel hoch, während er, die Einkaufstüte in der Hand, mit mir den Stand verließ. »Dann wirst du wohl noch für eine Weile bei mir bleiben müssen.«
Ich grinste wie eine Blöde – wie man sich wohl vorstellen kann, nicht? »Einverstanden.«
Hand in Hand schlenderten wir weiter. Wir hätten einen Einkaufswagen gebrauchen können. Noah kaufte selbstgemachte Marmelade und Saucen, losen Tee und einen Kringel aus Plunderteig, der die Rückfahrt bestimmt nicht überleben würde. Außerdem erstand er eine Wandskulptur aus Metall, ein Hemd und eine Glasspinne, die ich insgeheim bewundert hatte.
»Die Weberin der Träume, stimmt’s?« Statt einer Antwort lächelte ich, während er die Schachtel mit der sorgsam verpackten Spinne in eine meiner Einkaufstüten gleiten ließ.
»Ich bin beeindruckt«, sagte ich schließlich, und das stimmte auch. »Ama, die Allmutter, die das Universum webte und das Traumreich erschuf.«
Wir spazierten weiter, bis Noah plötzlich einen Stand mit Schwertern entdeckte, den er sich näher ansehen wollte. Da ich einige Porzellanpuppen erspäht hatte, trennten wir uns für ein paar Minuten.
Die Puppen waren phantastisch. Es gab sie in allen Formen, Farben und Größen, darunter nubische Prinzessinnen, Geishas, indianische Schönheiten mit glänzenden Zöpfen und zarte Elfen mit spinnwebfeinen Flügeln. Jedes Detail war sorgfältig gearbeitet. Jede Puppe war eine kleine Persönlichkeit, mit individuellem Gesicht und seidenweichem Haar, das offensichtlich echt war. Der Puppenmacher hatte sich unendliche Mühe gegeben, seine Puppen so erscheinen zu lassen, als würden sie jeden Augenblick zum Leben erwachen.
Besonders eine Puppe fiel mir auf. Sie war in ein hellrosafarbenes Gewand gekleidet, das über und über mit Swarovski-Kristallen besetzt war, und sah aus wie ein große Barbie – nur noch perfekter. Sie war schlank, doch wohlgeformt und hatte goldbraune Haut und große Augen mit dichten
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