Wächterin der Träume
Wimpern. Ihr langes blondes Haar schimmerte im Licht.
Huch! Die kannte ich doch! Sie sah aus wie Amanda! Vielleicht lag es daran, dass ich gerade an Noahs Exfrau gedacht hatte, aber die Ähnlichkeit war trotzdem frappierend. Sogar das Haar hatte den richtigen Farbton.
»Sie ist hübsch, nicht?«
Ich blickte den Mann an, der das gesagt hatte. Mein Lächeln gefror mir auf den Lippen, der Boden schwankte unter meinen Füßen.
Er war es.
Das Gesicht hätte ich überall erkannt. Er wirkte so ruhig und so überfreundlich – als steckte unter seiner stinknormalen Hülle nicht ein Monster.
Waren all diese Puppen Abbilder seiner Opfer?
»Ja«, krächzte ich heiser. »Sie ist schön. Haben Sie die alle gemacht?« Ich konnte es kaum fassen, dass meine Stimme beinahe normal klang, während ich innerlich bebte. Ich hatte Angst und war wütend und hätte ihm nur zu gern einen bösen Wachtraum angehängt. So etwas hatte ich schon einmal jemandem angetan – einem armen Mädchen in einem Café. Ich hatte sie glauben lassen, dass überall Spinnen auf ihr herumkrabbelten.
Doch Spinnen waren viel zu milde für diesen Kerl.
Er lächelte mich an. »Ja. Alles Handarbeit.«
Ich schauderte, sah jedoch weiterhin freundlich drein. »Wie viel kostet die hier?« Ich deutete auf die Amandapuppe.
Seine Miene veränderte sich, als er die Puppe anschaute, und wurde beinahe liebevoll. Noch nie in meinem Leben hatte mich ein Mensch dermaßen aus der Fassung gebracht. »Tut mir leid, das ist ein Ausstellungsstück«, sagte er schließlich.
»Oh.« Ich versuchte, enttäuscht zu klingen und mir meinen Abscheu nicht anmerken zu lassen. »Gehört sie zu Ihrer Privatsammlung?«
Er nickte, wobei sein hellbraunes Haar im Neonlicht einen leicht grünlichen Schimmer annahm. »Ja, sie ist eins von meinen ganz besonderen Mädchen.«
Mir drehte sich der Magen um. »Zu schade.« Was hätte ich mit der Puppe gemacht, wenn er sie mir verkauft hätte? Ich hätte sie wohl schlecht Amanda schenken können.
Mein Blick huschte zu Noah hinüber, der einige Stände weiter stand. Wenn
ich
diesen Kerl schon hätte würgen können, was hätte Noah dann erst mit ihm gemacht? Vielleicht eins von diesen Schwertern an ihm ausprobiert. Dann hätte man Noah bestenfalls wegen Körperverletzung angeklagt, und es gäbe immer noch keinen Beweis dafür, dass dieser Typ der Vergewaltiger war.
Nein, ich konnte es Noah nicht sagen. Noch nicht. Lieber wollte ich riskieren, dass er mir böse war, als dass er etwas tat, was er hinterher bereuen würde.
»Wissen Sie, Sie haben herrliches Haar«, sagte der Puppenmacher und betrachtete mich, wie es Noah manchmal tat, wenn er in Mallaune war. Doch jetzt fühlte ich mich nicht begehrenswert, sondern nur unbehaglich. »Sollten Sie jemals daran denken, es abschneiden zu lassen, würde ich es gern kaufen.«
Er wollte meine Haare kaufen? Krass.
Und dann war mir, als würde in meinem Kopf ein Puzzlesteinchen an seinen Platz rutschen. Das
Haar
. Ich schaute mir die Amandapuppe noch einmal an. Ihr Haar hatte nicht bloß denselben Farbton wie Amandas, es
war
ihr Haar!
Mir wurde speiübel. Kein Wunder, dass er sie nicht verkaufen wollte. Diese Puppe war eine von seinen Trophäen. Er gestaltete seine Puppen nicht nur nach seinen Opfern, sondern benutzte dazu auch noch ihr Haar.
Ich hoffte inständig, dass es eine Hölle gab.
Mein Blick fiel auf einen kleinen Visitenkartenhalter auf dem Tisch. »Darf ich mir eine Karte nehmen? Für den Fall, dass ich mir die Haare abschneiden lasse.«
»Selbstverständlich«, antwortete dieser Dreckskerl mit einem locker-lässigen Grinsen. »Ich arbeite auch nach Kundenwünschen.«
Das hatte ich gemerkt.
Die Mutter,
flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Es war dieselbe Stimme, mit der ich im Starbucks die Spinnen herbeigezaubert hatte. Ich fragte mich, warum seine Mutter Stoff für einen Alptraum war. Oder besser gesagt, die Art von Stoff, die ein Nachtmahr gegen ihn einsetzen konnte. Sich verborgener Ängste zu bedienen war eigentlich mehr Sache eines Traumdämons, aber offensichtlich gehörte auch das zu meinen unerklärlichen Talenten.
»Danke.« Wieder zwang ich mich zu lächeln und nahm eine Karte. Und dann noch zwei, für den Fall, dass ich eine verlor. Phillip Durdan. Er besaß einen Laden in Brooklyn. Jetzt würde die Polizei wissen, wo sie ihn finden konnte.
Und auch ich würde ihn finden können. Vielleicht vermochte ich ihn nicht der Polizei auszuliefern, aber ich konnte etwas tun,
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