Während die Welt schlief
und Kot zu beschmutzen«.
In einem Bericht über das schreckliche Schicksal von Palästinensern, die zum Teil nicht älter als 14 Jahre waren, als sie unter dem »Verdacht des Steinewerfens« verhaftet wurden, zitiert die Hadashot in ihrer Ausgabe vom 24. Februar 1992 einen Informanten aus dem Internierungslager bei Hebron:
Was da geschah … war der reine Horror: Sie zerschlugen ihre Knüppel auf den Körpern der Gefangenen und schlugen ihnen in die Genitalien. Sie fesselten einen Gefangenen auf dem kalten Boden und spielten mit ihm Fußball – sie traten auf ihn und ließen ihn regelrecht durch den Raum rollen. Dann verabreichten sie ihm Elektroschocks, wofür sie den Generator oder ein Feldtelefon benutzten; danach stießen sie ihn ins Freie, wo er stundenlang in der Kälte und im Regen stehen musste … Sie machten die Gefangenen so fertig … dass sie am Ende nur noch ein Klumpen Fleisch waren.
Amal las diesen Bericht, ohne zu wissen, dass es sich bei dem sechsjährigen Jungen mit verbundenen Augen um Mansur handelte, das jüngste Kind ihrer Freunde Huda und Osama.
Mansur war ein aufgewecktes Kind, ein richtiger Frechdachs gewesen. Seine Brüder hatten ihn immer ein Muttersöhnchen genannt, und er hatte diese Bezeichnung lächelnd akzeptiert, geborgen in den Armen seiner Mutter Huda. Als er weinend in einen Armeejeep verladen wurde und ein Fotograf ein Bild von ihm machte, betete er, dass seine Mutter ihn retten würde. Und Huda wurde beinahe verrückt ohne ihren Kleinsten. Die Armee hielt ihn eine Woche lang fest, so lange dauerte es, bis Huda und Osama fünfhundert Dollar Lösegeld aufgetrieben und Mansurs Aufenthaltsort herausgefunden hatten. Niemand erfuhr jemals, was genau Mansur im Laufe dieser Woche zugestoßen war, aber als er endlich wieder zu seiner Familie durfte, schaute er niemandem in die Augen. Und er hatte die Fähigkeit zu sprechen verloren.
Vor dem Zubettgehen sang Huda ihrem jüngsten Sohn Lieder vor, das war ein Ritual, das schöne Träume herbeilocken sollte. Osama, Amal – die Erstgeborene – und die Zwillinge Jamil und Jamal, die im selben Raum lagen, lauschten und ließen sich von Hudas Stimme und ihren Melodien ebenfalls sanft in den Schlummer wiegen. Während der ersten Intifada und noch lange danach sang Huda, wenn es Zeit zum Schlafen war, palästinensische Volkslieder.
Oh, als du vorbeigingst und die Hand zum Gruße hobst
Hast du die Geheimnisse der Liebe in meinem Herzen berührt
Ich vernahm deine Stimme
Wie den Gesang eines Vogels im Olivenbaum
Oh, fliegender Vogel am hohen Himmel
Grüße meinen Liebsten
Dein Name, meine Seele, wird in meinen Gedanken sein
Eingeprägt zwischen den Augen auf meiner Stirn
Obwohl sie unter unwürdigen Umständen lebten, Vertreibung und Militärbesatzung ertragen mussten, schwang in Hudas Gesang eine unangreifbare Freiheit mit, wie sie nur Menschen mit unerschütterlichem Glauben kennen. Huda und Osama liebten einander noch immer so leidenschaftlich und zärtlich wie zu Beginn. Ihre Tochter Amal war die Prinzessin ihres Vaters und die beste Freundin ihrer Mutter. Als es so weit war, heiratete sie einen Syrer und ging mit ihm nach Damaskus. Die Zwillinge, die 1978 geboren wurden, waren stark, eigensinnig und unzertrennlich. Sie passten gut aufeinander auf und kümmerten sich auch um die Familie.
Auf der anderen Seite der Erdkugel widmete Amal sich ihren Seelenqualen, so wie sie sich eigentlich ihrem Kind hätte widmen sollen. Sie lebte in einem Gefängnis, das sie sich selbst gebaut hatte, in einem Verlies aus Eis, das die Außenwelt von ihr fernhielt. Sie ging mit fest zusammengebissenen Zähnen durchs Leben, und auf ihrem Weg durch die Wolken des Schweigens hielt sie den Atem an. Sie streifte durch die Schützengräben dieses Schweigens, dieser Angst. Sie verirrte sich unterwegs und verlor einen wichtigen Teil ihrer selbst, doch sie wusste nicht, wo sie ihn suchen musste oder wie sie ihn zurückbekommen konnte. Eine Zeit lang ging sie allen Nachrichten aus Palästina aus dem Weg, aber dann las sie alles, was sie über ihr Heimatland und ihr Volk finden konnte. Sie schrieb allerdings weder an Huda noch an irgendjemanden sonst. Sie verschlang die Bücher, als wären sie wichtige Teile in einem
schwierigen Puzzle, das es zu lösen galt. Sie las, um sich zu erinnern. Doch vor allem las sie, um sich selbst zu bestrafen, weil sie davongekommen war.
Huda sang. Und sie betete.
»Bitte, werft keine Steine«, flehte sie ihre zehnjährigen
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