Während die Welt schlief
in den Häusern gesehen. Hier und da Spielsachen. Die Dorfmoschee in der Ortsmitte sei zum Bordell umgebaut worden. Die Frauen murmelten Verwünschungen, und die Männer schüttelten vor Abscheu den Kopf. Und, o ja, Haj Magida, Gnade ihrer Seele, die sich bekanntlich so vor Ameisen geekelt hatte – ihr Haus sei von den kleinen Krabbeltieren mit Beschlag belegt worden. »Wenn sie das bloß sehen könnte!« Alle lachten.
»Gnade ihrer Seele.« Ja, Gnade ihrer Seele. Die Olivenpresse wurde nicht mehr benutzt, außer, um Gemälde aufzuhängen. Sie war in eine Kunstgalerie verwandelt worden. Und die große Eiche, die Ende des 19. Jahrhunderts wie aus dem Nichts entstanden war, gab es immer noch. »Natürlich ist sie noch da.« Auch die Olivenbäume standen noch, doch sie brauchten Pflege von Menschen, die etwas davon verstanden.
»Diese Leute verstehen nicht das Geringste von Oliven. Es sind hellhäutige Fremde ohne irgendeine Beziehung zu diesem Land. Wenn sie ein Gefühl dafür hätten, würde es in ihnen die Zuneigung zu den Oliven wecken«, sagte Yahya, auf seine Handflächen starrend, die die majestätischen, geliebten Bäume erst Stunden zuvor liebkost hatten. Seine mit Altersflecken übersäten, rauen Hände kannten die Tatsachen. Die Tatsache, dass ein Olivenzweig nur einmal blüht und aus seinen Achselknospen im Winter neue, dünne Zweige sprießen, wenn er nicht zurückgeschnitten wird. Die Tatsache, dass der schlimmste biologische Feind eines Olivenbaums eine kleine Fliege mit filigranen Flügeln ist und dass es sich empfiehlt, in der Umgebung von Olivenbäumen Schafe zu halten, da sie den Boden mit dem nötigen Stickstoff versorgen. Yahyas Hände kannten diese Fakten, weil er sein ganzes Leben den Bäumen und der Erde, auf der sie standen, gewidmet hatte.
»Verdammt seien diese Leute«, rief eine Frau in die Menge, »sie hätten uns nicht aus unseren Häusern verjagen müssen. Wir haben so vielen erlaubt, sich auf unserem Land anzusiedeln. Und wir haben sie mit Oliven aus unserer Ernte versorgt. « Alle seufzten, die Frauen murmelten Flüche, die Männer schüttelten vor Abscheu den Kopf. Dabei ließen sie sich weiterhin jede einzelne Feige auf der Zunge zergehen. Dann zog Yahya seine Nai hervor und begann, die Lieder von einst zu spielen. Frauen wiegten sich und sangen traurige Weisen, bis jemand rief: »Nicht das! Spiel uns ›Dal’Ouna‹!« Er tat, wie ihm geheißen, und bei dem lebhaften Tempo erhoben sich die von Arthritis geplagten Körper zu einer unbeholfenen Dabka um das Lagerfeuer. Jemand improvisierte eine Tabla und untermalte die Melodie der Nai mit einem Trommelrhythmus.
Yussuf, das einzige Kind, das bis dahin hatte aufbleiben dürfen und mit dem Schlaf kämpfte, war plötzlich voller Tatendrang.
Jahre später in Beirut sollten er und seine Schwester Amal sich an die lächelnden zahnlosen Münder erinnern, das Gelächter, das an diesem Abend müde alte Körper schüttelte, das Gekicher, das eher nach schelmischen Kindern als nach ihren Großeltern klang, und den Rauch von Honig-Apfel-Tabak, der aus den Hukas und aus Hasans Pfeife spiralförmig nach oben stieg.
Die Luft erfüllte sich mit Freudengeheul, und die Menschen berauschten sich an den überreifen Früchten. Sie waren an Bäumen gewachsen, die die Zeit überdauert hatten und den Schatten des Exils durchdrangen. Weitere Gäste stießen hinzu, und die Ausgelassenheit schwappte in die Nacht hinaus. Einige Frauen kamen in ihren feinsten bäuerlichen Kleidern, und die Kinder, begeistert von der Aussicht, bis spätabends aufbleiben zu können, versammelten sich um Yussuf und feierten im geheimnisvollen Schein des Feuers ihr eigenes Fest.
In den folgenden Tagen verpuffte die spontan entstandene Fröhlichkeit, und die bedrückende Routine des Wartens und die Ärgernisse eines Lebens auf Abruf gewannen wieder die Oberhand. Doch für Yahya war die brutale Realität unerträglich. Zwei Wochen später bat er Dalia von Neuem, seine Kleider blütenweiß zu waschen.
Yahya rasierte sich. Mit dem gleichen stillen Ritual wie Wochen zuvor kleidete er sich an. Doch dieses Mal zelebrierte er die Riten, die der verbotenen Heimkehr vorausgingen, mit der Bedächtigkeit des Erfahrenen. Yussuf saß neben ihm in der Sonne und beobachtete, wie das Rasiermesser langsam die Kieferpartie seines Großvaters entlangstrich. Die auf der Klinge tanzenden Lichtreflexe blendeten ihn. Er betrachtete den schmutzig weißen Schaum in der Wasserschale, die Flecken auf
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