Während die Welt schlief
Yahyas Händen und den Schmutz unter seinen Nägeln. Und er sah genau zu, mit welcher Präzision Yahya seinen salzigen
schwarzen Schnurrbart trimmte und die Spitzen zu perfekt symmetrischen Bogen wachste. Yahya strahlte die Autorität eines Patriarchen aus.
Niemand wusste genau, wann Yahya starb. Doch als die israelischen Behörden dem Roten Halbmond seinen Leichnam übergaben, hatte Dalia eine weitere Fehlgeburt erlitten. Alle Lagerinsassen waren der Ansicht, Yahya sei bewusst gewesen, dass er für immer gehen würde, als er die Grenze von 1948 überschritt. Haj Salim war sicher, dass Yahya zum Sterben dorthin zurückgekehrt war, wo er aus dem Leben scheiden musste, und in Gesprächen über Yahyas Dahinscheiden hieß es, er sei an gebrochenem Herzen gestorben.
Tatsächlich hatte eine Schusswunde seinen Tod verursacht. In Ein Hod hatten sich seinerzeit jüdische Künstler aus Frankreich angesiedelt, und der Ort machte sich gerade einen Namen als Paradies am Ende der Welt. Auf seinem ersten Ausflug war Yahya von einem der jüdischen Siedler erspäht worden, und als er zurückkehrte, wurde er von lauernden Soldaten wegen unbefugten Betretens erschossen.
Als die Familie Yahyas Körper für die Beerdigung wusch, fand sie drei Oliven in seiner Hand und ein paar Feigen in seinen Taschen. Ein Lächeln lag auf Yahyas Gesicht, und das bewies jedermann, dass er glücklich in den Himmel der Märtyrer eingegangen war. So trauerten die Menschen in Jenins Barackenlager, indem sie ihn beweinten und sein Leben, seine Heldentat und seine Heimatliebe priesen. Jack O’Malley gab seiner Belegschaft einen Tag frei, und alle nahmen an der Beerdigungsprozession teil.
Inmitten der bedrückten, andächtigen Trauergemeinde half Hasan schweigend, den in das Leichentuch gehüllten Körper seines Vaters zu tragen, während sein Bruder Darwish im Rollstuhl
neben ihm herfuhr. Niemand bemerkte, dass Yussuf während des Begräbnisses die Erschütterung ins Gesicht geschrieben stand, und niemand konnte in dieser Nacht schlafen. Yahyas Tod enthüllte eine Wahrheit, die von der Nacht Besitz ergriff und sie vor Erregung erbeben ließ. Wie konnte es sein, dass ein Mann weder sein eigenes Grundstück betreten noch das Grab seiner Frau besuchen, noch die Früchte essen konnte, die seine Vorfahren über vierzig Generationen erwirtschaftet hatten, ohne dabei getötet zu werden? Irgendwie war diese Frage, die ja auf der Hand lag, den Flüchtlingen, die von der ewigen Warterei ganz durcheinander waren, sich nach abstrakten internationalen Lösungen, Widerstand und Kampf sehnten, bis dahin nicht bewusst geworden. Doch als sie Yahyas Körper in den Boden senkten, drang die Erkenntnis, wie es grundsätzlich um sie bestellt war, mit einem Mal an die Oberfläche, und die Nacht brachte ihnen keinen Schlaf.
Am nächsten Morgen wurde den Flüchtlingen klar, dass sie allmählich von der Erde getilgt wurden, dass ihnen Geschichte und Zukunft genommen wurden. Männer und Frauen beratschlagten sich separat, und ein neuer Gedanke begann Gestalt anzunehmen. In fast jeder Angelegenheit wurde Hasan konsultiert, weil er der Gebildetste von ihnen war. Seinen fähigen Händen vertraute man das Schreiben von Briefen an, und ihm oblag es, mit den Amtsträgern der UNO über die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse zu verhandeln.
Selbst ihre palästinensischen Landsleute in den Orten der noch nicht eroberten West Bank betrachteten die ehemaligen Bewohner Ein Hods herablassend als »Flüchtlinge«.
»Auch wenn wir zu einem Leben als Flüchtlinge verurteilt sind, werden wir nicht wie Hunde dahinvegetieren«, verkündete man.
Yahyas Tod hatte ihnen den Rücken gestärkt. Fieberhafter Stolz erfasste Jenin, und eine Kampagne zur Einrichtung von Bildungsanstalten, insbesondere einer Mädchenschule, wurde ins Leben gerufen. Innerhalb eines Jahres baute die Flüchtlingsgemeinschaft eine weitere Moschee und drei Schulen. Bei all dem spielte Hasan eine unaufdringliche, aber zentrale Rolle, bewegte sich am Rand des alltäglichen Geschehens, entwarf aber immer noch fleißig Briefe und Dokumente. Er stand vor Sonnenaufgang auf, betete das erste Salat und las, mit der freien Hand abwechselnd nach einer Tasse Kaffee und seiner mit Honig-Apfel-Tabak gestopften Pfeife greifend. Noch bevor seine Familie aufwachte, ging er zur Arbeit, und von dort aus zog er sich mit seinen Büchern in die Hügel zurück, aus denen er erst zurückkehrte, wenn seine Lieben bereits wieder schliefen. Zu sehr
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