Während die Welt schlief
nichts wissen. Sag mir nur, ob er unser Sohn ist, Mosche.«
»Ja, Liebling. Er braucht eine Mutter.«
»Dann soll sein Name David lauten, in Erinnerung an meinen Vater«, entschied Jolanta, und Mosche kehrte mit den Alkoholika nach Ein Hod zurück. Er war glücklich. Er fühlte sich ganz.
Erst die Briten, dann die Araber .
Und jetzt hatte Jolanta ein Kind.
Nach der Vertreibung der Bewohner Ein Hods bewachten und plünderten Mosche und seine Kameraden das leere Dorf. Während Dalia mit gebrochenem Herzen darniederlag, vom
Verlust Ismaels in den Wahnsinn getrieben, wiegte Jolanta David in den Schlaf. Während Hasan sich darum kümmerte, dass seine Familie überlebte, grölten Mosche und seine Kameraden beim Zechgelage. Und während Yahya und all die anderen sich unter Seelenqualen Schritt für Schritt weiter von ihrer Heimat entfernten, sangen die Eindringlinge die »Hatikva« und riefen: »Lang lebe Israel!«
6
Yahyas Heimkehr
1948 – 1953
W ährend sich 1948 eine fremde Minderheit anschickte, einen neuen Staat aufzubauen, indem sie die Palästinenser vertrieb und ihre Häuser und Banken plünderte, ernannten die fünf Großmächte – die Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, China und die Vereinigten Staaten – einen Vermittler, der im Namen der Vereinten Nationen eine Konfliktlösung erarbeiten sollte.
»Er ist Schwede«, sagte Yahya zu den Männern, die sich jeden Morgen bei seinem Zelt versammelten, um die letzten Neuigkeiten auszutauschen. »Wer ist Schwede?«, fragte ein Passant. »Sei still. Hasan liest uns die Zeitung vor«, blaffte jemand. Yahya nickte Hasan zu. »Weiter, mein Sohn.« Hasan las:
In Ausübung seines Auftrags erklärte der schwedische Vermittler der Vereinten Nationen, Graf Folke Bernadotte: »Es wäre ein Verstoß gegen die Prinzipien elementarer Gerechtigkeit, wenn diesen unschuldigen Opfern des Konflikts das Recht auf Rückkehr in ihre Häuser verwehrt würde, während jüdische Immigranten nach Palästina strömen und die arabischen Flüchtlinge, die seit Jahrhunderten in diesem Land verwurzelt sind, letzten Endes tatsächlich dauerhaft zu verdrängen drohen.«
Es dauerte eine Weile, ehe wieder jemand sprach. Die Hoffnung auf Heimkehr lag in der Luft.
»Es ist an der Zeit, dass jemand seine Stimme gegen diese Niedertracht erhebt.«
»Ich hoffe nur, dass die Juden mein Haus nicht allzu schlimm zugerichtet haben.«
»Ist mir egal. Ich repariere alles. Ich will bloß nach Hause.«
»Ich muss los, um es der Familie zu sagen. Umm Khaleel wird so glücklich sein. Sie hat sich solche Sorgen um ihre Zitronen- und Mandelbäume gemacht.«
Doch gerade als die Männer sich anschickten auseinanderzugehen, hielt die leise Stimme eines Fünfjährigen sie auf. »Jiddu« – der kleine Yussuf blickte Yahya an –, »können wir jetzt nach Hause?«
Genau das hatten sie alle gemutmaßt, doch mit der Frage konfrontiert, waren sie plötzlich um eine Antwort verlegen. So wandten sie sich an Yahya und Haj Salim, der neben ihm saß. Yahya blickte Hasan an, wandte sich dann seinem Enkel zu und sagte: »Die Wahrheit ist, dass wir es noch nicht wissen, Yussuf. Wir müssen abwarten, ya habibi.« Mein Liebling .
Das gemeinsame Anhören der Tagesnachrichten entwickelte sich zu einem morgendlichen Ritual im Flüchtlingslager. Die Frauen hatten ihre eigenen Gruppen, genauso wie die Kinder. Doch für die Männer war es das wichtigste Ereignis des Tages, die Gelegenheit, die Hoffnung auf Heimkehr zu schüren, auch wenn sie immer wieder zunichtegemacht wurde. Auch als die Alten wegzusterben begannen. Und selbst als die Hoffnung allmählich schwand, versammelten sich die Männer weiterhin regelmäßig, um ihr Recht auf Rückkehr zu beschwören.
Ein paar Tage nachdem sie von dem schwedischen Vermittler
gehört hatten, lauschten sie einer weiteren Zeitungsnotiz.
Hasan las:
Der schwedische Vermittler der Vereinten Nationen, Graf Folke Bernadotte, wurde von jüdischen Terroristen ermordet.
Israel würde es nicht zulassen, dass sie heimkehrten, und die Familie wartete in der Gefangenschaft dieses endlosen Jahres, das eine so surreale Wendung genommen hatte und sich immer weiter dehnte, weil die Nachrichten Morgen für Morgen jeden Beschluss über den Haufen warfen.
Yahya alterte beträchtlich in diesen Monaten, in denen es drunter und drüber ging und aus denen Jahre wurden – bis ihm 1953 eines Tages klar wurde, dass sein elendes Zelt in Jenin sich in eine Lehmhütte verwandelt hatte. Die
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