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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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Manche weinten. Andere verliehen ihrer Freude mit Zagharit-Trillern Ausdruck. Soeben hatte Israel Ägypten angegriffen. Ein laut gestelltes Radio verkündete: »Die arabischen Armeen machen mobil, um sich gegen die zionistische Aggression zu verteidigen.«
    Baba kam auf uns zu und nahm Huda und mich in seine ausgestreckten Arme. »Habibti, es ist etwas passiert. Ihr müsst beide sofort ins Haus.« Er war ruhig und ernst. »Geht jetzt, Mädchen«, und wir gingen.
    Bei unserem Haus warteten Männer auf meinen Vater, der
kurz weggegangen war, um meinen Bruder auf seiner Arbeitsstelle in Bethlehem anzurufen.
    Mama rannte auf uns zu, als sie Huda und mich näher kommen sah. Sie überraschte mich mit einer festen Umarmung und murmelte: »Lob und Dank sei Dir, Allah, für mein Kind.« Mama küsste mich, was sie selten tat. Hätte ich gekonnt, hätte ich sie am Gehen gehindert. Ihre plötzlichen Liebesbezeugungen weckten Dankbarkeit für Israels Angriff in mir.
    »Allahu akbar!«, rief jemand. »Bald kehren wir heim nach Palästina!«
    Da Mamas neue Warmherzigkeit anhielt, schöpfte ich Hoffnung. Nacheinander beschwor ich in allen Einzelheiten das Zuhause herauf, das ich in meiner Fantasie erbaut hatte, einen Baum, einen Rosenstrauch, ein Stockwerk. Ich dachte an das Mittelmeer mit seinen Sandstränden – »die Braut Palästinas«, nannte Baba es –, das ich nur in meinen Träumen gesehen hatte. Eine wunderbare Vorfreude gebar Visionen eines verflossenen Lebens, das ich nie kennengelernt hatte. Ein Leben, auf das ich ein Recht hatte, das mir genommen worden war, aber letztlich zurückerlangt werden konnte: die rückwärtige Terrasse von Jiddu Yahyas und Teta Basimas Landsitz, die Reben mit ihren saftigen Trauben, Mamas Rosengarten, die Araberpferde, die Ammu Darwish züchtete, Babas Bibliothek und der Bauernhof unserer Familie, der das halbe Dorf ernährt hatte.
    Ich tröstete eine erschrockene Huda damit, dass wir, wären wir erst zurückgekehrt, ein eigenes Zimmer und Geld genug für Puppen haben würden. Vertrauensselig zeigte ich auf die unorganisierten und untrainierten Männer. »Sieh sie dir bloß an«, sagte ich zu ihr, beeindruckt von den Möchtegernkämpfern, die zwischen uns herumliefen, »sieh nur …«
    Baba versteckte seit Langem Gewehre in einem Loch, das er unter der Spüle in den Küchenboden gegraben hatte. Er
war zurück, sprach mit den Männern. Ich wusste, dass die Zeit gekommen war, zu diesen Waffen zu greifen.
    Jahrelang hatte ich Baba lamentieren hören, dass König Hussein bin Talal von Jordanien die Palästinenser entwaffnet hatte und uns den Zionisten, die mithilfe des Westens mehr und mehr Waffen anhäuften, wehrlos auslieferte. Wann immer er also einer Waffe habhaft werden konnte, versteckte er sie in dem Loch im Küchenboden. Er hatte es mit Fliesen bedeckt und zur Tabuzone für die Kinder erklärt. Ich wagte nicht, seine Anordnung zu missachten.
    An diesem Tag beobachtete ich, wie Baba das Versteck öffnete und mehr als zwanzig Gewehre herausholte. Er verteilte die Waffen an die Kämpfer, die ich bis dahin nur als Väter, Brüder, Onkel und Ehemänner gekannt hatte.
    Ich machte mich davon. Von Weitem heftete ich den Blick auf meinen Vater, der stets die Güte in Person gewesen war und in dem nun etwas Wildes an die Oberfläche drängte. Sein Gesicht wurde hart, und das Lächeln in seinen Augen erstarb. Seine Stimme war kaum wiederzuerkennen und enthielt nicht die leiseste Andeutung, dass dieser intellektuelle, eigenbrötlerische Mann seine Zeit für gewöhnlich mit Büchern oder in Zwiesprache mit der Natur verbrachte. Damals hatte ich weder die innere Stärke noch das geistige Vermögen, zu begreifen, dass die Verwandlung meines Vaters und der anderen Erwachsenen unumgänglich war – alle hatten bereits einen schrecklichen Krieg und eine Ausweisung hinter sich, die ihnen das Herz gebrochen hatte.
    »Amal.« Mama griff nach meinem Arm. »Lauf nicht weg. Du bleibst mit Huda dort, wo ich euch finden kann.«
    Ein donnerndes Krachen dröhnte in der Ferne. Es ließ mich zusammenzucken, und Mamas Stimme wurde noch eindringlicher. Mit den abgrundtiefen, schwarzen Augen, die ich von
ihr geerbt hatte, sah sie mich an und wiederholte die Lektion, die ihr am wichtigsten war: »Sei stark, wie ich es dich gelehrt habe, egal, was passiert.«
    Meine Gewissheit, dass bessere Zeiten bevorstünden, fiel in sich zusammen, als Mama Huda und mich wie Spielzeugfiguren in eine Ecke schob.
    »Bleibt hier, wo ich

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