Während die Welt schlief
versinkt in ihrer übergroßen Thoba. Heute ist sie außer sich vor Sorge.
»Ich muss zurück nach Jenin, Haja«, sage ich und gehe schnell hinein.
Sie folgt mir und achtet dabei auf den Boden, damit ihre versteckten Füße in der Eile nicht auf die Thoba treten.
»Ya Walidi! Es ist zu gefährlich, jetzt zu fahren. Der Weg ist zu weit, und wer weiß, was innerhalb der nächsten Stunde passiert. Es heißt, Jordanien und Syrien machen schon mobil, um Ägypten zu verteidigen, und der Irak soll auch dazukommen«, sagt sie.
»Meine Familie braucht mich«, erwidere ich und packe eine kleine Tasche, während Haja Umm Nasim mich vom Türrahmen aus beobachtet.
»Ich rufe Abu Maher, damit er dich fährt. In diesem Chaos wirst du nie ein Taxi finden«, beschließt sie und macht auf ihren
versteckten Beinen kehrt. Sie hat recht. Die meisten Fahrzeuge rasen schon Richtung Jordanien.
Haja Umm Nasim taucht wieder im Türrahmen auf, als ich gehen will. Ihre Miene ist ernst und bestimmt. »Abu Maher kommt in fünf Minuten mit dem Auto. Wenn er aus irgendeinem Grund heute Abend nicht mehr nach Bethlehem zurückkommen kann, musst du dafür sorgen, dass er sicher aufgehoben bei deiner Familie bleibt. Hier«, sagt sie und steckt mir ein Bündel Dinare in die Hemdtasche.
Ich brauche das Geld. Ich habe kaum zwanzig Fils bei mir, das reicht nicht mal im Traum für das Benzin. Aber mein Stolz befiehlt meiner Hand, das Geld zurückzugeben.
»Walidi! Wirst du mir wohl gehorchen! Außerdem ist das der Teil deiner Miete, den du nicht verbraucht hast. Du kannst ihn mir zurückzahlen, wenn du wiederkommst. Geh, Abu Maher wartet schon. Allah schütze euch beide.«
Ich küsse sie oben auf den Kopf, auf ihren Hidschab, und gehe.
13
Mosches wunderschöner Dämon
1967
D avid war kaum eine Stunde zu Hause gewesen, als sein Schulfreund Yarel vorbeikam und von einem bestimmten arabischen Gefangenen erzählte.
»Dieser Hurensohn sollte eigentlich schon tot sein nach der Tracht Prügel. Er ist zäh …«, sagte Yarel, und es klang wie der Anfang einer langen, unwichtigen Geschichte.
»Wieso erzählst du mir davon? Das interessiert mich nicht«, fiel David ihm ins Wort.
»Also, ich habe den Jungs befohlen, von ihm abzulassen …«, begann Yarel von Neuem.
»Das interessiert mich nicht. Da, nimm etwas von der Kugel. Ma hat sie gemacht.«
Yarel machte unbeeindruckt weiter. »David, du musst dir diesen Araber anschauen. Er sieht aus wie … dein Zwillingsbruder.«
»Ach ja?« David fand das lustig. »Willst du damit sagen, ich sehe aus wie ein Goi, du Blödmann?«
»Ich glaube, du solltest morgen mit mir kommen.« Er beugte sich zu David herüber. »Wenn man sich die Narbe wegdenkt, sind eure Gesichter … absolut gleich.«
David musste schlucken und studierte die Miene seines Freundes. Spielte er ihm einen Streich? »Okay. Hol mich morgen ab.«
Während sich David und Yarel am Gefängnistor auswiesen, schwebte Yussuf, mit fünfzehn anderen in einer Zelle eingesperrt, zwischen Leben und Tod. Er war nackt, trug eine Kapuze über dem Kopf und hatte die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Das Gefängnis war überfüllt mit Insassen, die anscheinend nach dem Zufallsprinzip festgenommen worden waren.
»Das ist er, der mit der roten Farbe auf dem Arm. Ich habe ihn markiert, damit wir ihn wiederfinden«, sagte Yarel und zog Yussuf die Kapuze ab.
David sah einen Mann, der grün und blau geschlagen war, übersät mit Schnittwunden und verkrustetem Blut. Seine Augen lagen tief inmitten von aufgequollenem Fleisch, und sein Unterleib war angeschwollen.
»Verdammt noch mal, Yarel! Hast du mich nur deswegen den ganzen Weg hier rausgeschleppt?« David schäumte vor Wut. Sein Diensturlaub war nur kurz, und Yarel hatte ihn für nichts und wieder nichts auf eine einstündige Fahrt zum Gefängnis mitgenommen.
»Verdammt, David. Gestern war sein Gesicht noch nicht so angeschwollen. Du kannst mir glauben, ich wäre an meinem freien Tag auch lieber mit meiner Freundin zusammen anstatt hier. Aber ich finde, du solltest noch einmal kommen. Ich habe ein paar Freunde hier. Ich bitte sie, ihn in die Krankenstation zu verlegen. In ein paar Tagen sollte er wieder wohlauf sein.«
Beim Abendessen erzählte David von seinem Tag mit Yarel im Gefängnis von Ramle. Mosche war zu Hause und aß, was selten vorkam, mit der Familie, und Jolanta war wie üblich in der Küche beschäftigt.
»Yarel sagt, der Araber und ich sehen aus wie Zwillinge«, berichtete David
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