Während die Welt schlief
diesen Brief an Dich zu schreiben, und finde nie die richtigen Worte. Jedes Mal, wenn ich mich mit einem Stift hinsetze, denke ich an ein Versprechen, das ich Baba gegeben habe.
Eines Freitags, als wir nach dem Gebet in den Olivenhainen saßen, nahm Baba mir das Versprechen ab, mich um Dich zu kümmern, falls ihm etwas zustoßen sollte. Er wollte, dass Du eine Ausbildung bekommst und einen guten Mann heiratest. Ich war zu naiv, um daran zu glauben, dass uns die Juden noch einmal angreifen würden, aber Baba sah den Krieg kommen.
Ich dachte, Baba wäre auf ewig bei uns. Ich weiß nicht, wie ich mein Versprechen halten kann. Wenn ich bleibe, werden mich diese Israelis irgendwann töten. Sie haben alle Macht, und sie wollen das ganze Land. Bis jetzt scheint nichts sie aufzuhalten.
Sie haben uns alles genommen, Amal. Und sie haben noch immer nicht genug. Ich kann nicht länger nur dasitzen und hilflos zuschauen. Bitte, Schwesterchen, verzeih mir, dass ich gehe. Ich werde kämpfen. Ich habe keine andere Wahl. Das Leben, das sie für uns vorgesehen haben, ist nichts anderes als ein Tod auf Raten. Darauf lasse ich mich nicht ein.
Wenn ich den Märtyrertod sterbe, dann sollte es so geschehen. Sei stolz darauf, bete für meine Seele und freue Dich, dass ich in Allahs Reich eingehe, wie alle Märtyrer, die für Gerechtigkeit, Freiheit und ihr Land kämpfen. Sie werden mich in ihren Reihen aufnehmen.
Hier bin ich wie ein Vogel im Käfig. Du auch, das weiß ich. Es bricht mir das Herz, dass ich Dir nicht das Leben geben kann, das Baba sich für uns gewünscht hat. Hier haben wir keine Zukunft, sind zu einem Dasein als ewige Flüchtlinge verurteilt. Das ist unerträglich.
Der Widerstand formiert sich, und wir werden uns zurückholen, was uns zusteht. Du wurdest als Flüchtling geboren, aber ich verspreche Dir eins: Falls ich sterben muss, dann dafür, dass Du nicht als Flüchtling sterben musst.
Ich muss Mama in Deiner Obhut lassen. Das ist eine schreckliche Bürde für ein so junges Mädchen. Ich habe Amin meinen Anteil an
der Werkstatt geschenkt; im Austausch wird er sich um Dich und Mama kümmern. Außerdem überlasse ich Dir meine ganzen Ersparnisse. Ich habe sie bei Ammu Darwish hinterlegt. Sie sollen mit Bedacht ausgegeben werden, etwa für Deine Ausbildung. Bitte halte den Kontakt zu Fatima. Sie liebt Dich.
Alles Liebe, Yussuf
Yussuf hatte zu sparen begonnen, als er sechzehn war und Fatima kennengelernt hatte. Von dem Geld wollte er ein prächtiges Hochzeitsfest und ein neues Haus bezahlen. Ich versuchte, ihn zu verstehen, denn darum hatte er mich gebeten. Aber ich fühlte mich verraten. Nachdem Yussuf mich verlassen hatte, war ich mutterseelenallein. Es war der 20. Januar 1968.
20
Helden
1967 – 1968
D irekt hinter der jordanischen Stadt Karameh erheben sich steinige, kärgliche Hügel, in denen ein palästinensisches Flüchtlingslager liegt, eine Zeltstadt mit schlammigen Wegen. Dort befand sich das Hauptquartier der Fatah, einer Organisation palästinensischer Freiheitskämpfer. Als Yussuf sich dieser Vereinigung anschloss, stand sie unter der Führung des jungen Ingenieurs Jassir Arafat.
Im März 1968 marschierte die israelische Armee in Karameh ein. Im Morgennebel kamen sie über die Allenby-Brücke, mit dem erklärten Ziel, die Guerillabasis der PLO innerhalb kürzester Zeit auszuheben.
Israel hatte sich verschätzt. Die Fedayin kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Manche banden sich Sprengstoffgürtel um und warfen sich vor die israelischen Panzer.
Mein Bruder Yussuf war auch dabei. Todesmutig suchte er den Kampf Mann gegen Mann. Eine feindliche Kugel riss ihm ein Stück aus seinem linken Oberschenkel heraus, während er versuchte, einen verwundeten Kameraden zu retten. Diese Geschichte, bezeugt durch Yussufs Humpeln, wurde zu einer
Legende in Jenin, wo ich mich gerade von meiner eigenen Schussverletzung erholte.
Bis zum Mittag war Karameh zerstört, aber die nur leicht bewaffneten palästinensischen Kämpfer hielten die Stellung. Israel gab seine Fahrzeuge und Panzer auf und zog sich eilig zurück. Der Mythos von Israels Unbesiegbarkeit wurde von meinem Bruder und seinen Kameraden zum ersten Mal erschüttert.
Innerhalb von Stunden verbreiteten sich die Nachrichten von der Schlacht von Karameh wie ein Lauffeuer in der arabischen Welt. Sogar in Europa und der Sowjetunion trugen die Jugendlichen die Kufiya, das karierte Palästinensertuch, als Symbol der Revolution, als Symbol für die Kraft der
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