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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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mich geliebt!« , schrie das Mädchen. »Sie wollten mich beschützen! Ich glaube Ihnen nicht!«
    Brens Großvater stand auf und marschierte aus dem Zimmer. Unter der Decke schwebend, sah ich ihm mit distanziertem Interesse nach. Jagte ihm das Mädchen auch so viel Angst ein wie mir? Das junge Mädchen dort unten sah aus wie ein Phantom – noch viel mehr wie ein wandelnder Leichnam als der Plastobot. Sie hatte feuerrote runde Flecken auf den Wangen, und ihre Ohren waren rot wie Erdbeeren. Sie war so mager, dass ich jeden einzelnen ihrer Muskeln sah, die sich vor Wut anspannten, als sie ohnmächtig die Faust vor dem verlassenen Schreibtisch schüttelte. Ihre braunen Augen blickten leer, tote Höhlen. Lücken. Was hatte Otto gesagt? Dieser unermessliche Abgrund in deiner Seele. Er machte ihm Angst.
    Er machte auch mir Angst.
    Aber da war noch mehr, auch wenn ich glaubte, dass nur ich es sehen konnte. Ich sah, wie das Mädchen vor Zorn loderte, ein helles, geisterhaftes Feuer, stark genug, um den ganzen Raum zu verschlingen. Mehr als stark genug, um sie zu Asche
zu verbrennen. Ich schwebte unter der Decke, doch ich fragte mich, ob ich ein Teil dieses Feuers war, ein brennender Geist aus Wut und Fassungslosigkeit.
    Dieser Gedanke brachte mich zu mir selbst zurück, und ich konnte das Feuer nicht mehr sehen, auch mich nicht, nur die geballte Faust vor meinen Augen und Bren an der Wand. Er wirkte wie vom Donner gerührt. »Ich glaube es nicht«, flüsterte ich ihm zu.
    Bren öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder, als hätte er Angst, etwas zu sagen.
    Da kam sein Großvater zurück in den Raum und reichte mir eine gerahmte Fotografie. Ich nahm sie mit verkrampfter Hand.
    Er musste das Foto aus Guillorys Büro geholt haben. Ich erkannte den Ort, bevor ich die Personen erkannte – es war der Ballsaal im Erdgeschoss des UniCorp-Gebäudes. Reiche Leute in teuren Kleidern waren darauf zu sehen, die gesellig beisammenstanden. Ich erkannte eine Silhouette in einer Ecke im Hintergrund, vermutlich Brens Großvater in seinen besten Jahren. Offenbar war es bei der jährlichen Firmenfeier aufgenommen worden. Die traditionelle Eisskulptur in Form eines Einhorns schmolz im Hintergrund. Mom und Daddy waren älter, viel älter, trotzdem erkannte ich sie.
    Mom hatte immer noch ihre schöne blonde Haarpracht. Sicherlich gefärbt, denn Daddys Haare waren schlohweiß. Sie sah jünger aus, als sie sollte, und irgendwie verändert, das Ergebnis von Schönheitschirurgie. Ich kannte das zur Genüge von Freunden der Familie. Daddy war wie immer tadellos gekleidet, und seine Augen blickten wie immer abwesend. Sein Lächeln war knapp und aufgesetzt wie immer, er schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Sie waren alt – es waren eindeutig Jahrzehnte vergangen, seit sie mich in Stasis versetzt
hatten. Doch der vernichtendste Beweis war die Gestalt zwischen ihnen, die ein Champagnerglas hochhielt und über beide Backen grinste. Ein junger Mann, Mitte zwanzig, ganz klar frisch von der Uni, ganz klar Betriebswirtschaftler, der einen Hauch von Ehrfurcht vor den beiden mit ihm posierenden Personen ausstrahlte. Reggie Guillory.
    Reggie Guillory, der noch nicht einmal geboren war, als ich in Stasis verfiel. Kein Wunder, dass er von meinen Eltern gesprochen hatte, als hätte er sie gekannt. Er hatte sie gekannt. Auf diesem Foto war er nicht viel älter als fünfundzwanzig, seine Haare hatten noch ihr natürliches Goldblond, die teure Bräune war ein paar Schattierungen dunkler, und er sah noch mehr nach Goldstatue aus, denn er hatte diese unnatürliche Vollkommenheit, nach der Bildhauer so häufig streben.
    Hier hielt ich den Beweis in der Hand und wollte es immer noch nicht glauben. Mit ungeheurer Wucht knallte ich das Foto gegen die Wand. Das Glas splitterte, und der Rahmen brach entzwei.
    Es genügte nicht, den Beweis zu vernichten. Ich musste alles zerstören. Wäre meine Stase-Röhre hier gewesen, hätte ich meine Wut an ihr ausgelassen, doch so riss ich eine der schmückenden Landschaften herunter und schleuderte sie wie ein Frisbee durch das Büro. Bren duckte sich. Ich warf mit Kleinkram um mich. Ich schleuderte massive Briefbeschwerer, die befriedigende Scharten in die Wände hauten. Meine Hände schlossen sich um Gläser von der Bar, die ich gegen die Fenster donnerte, wo sie herrlich zu den schönsten Scherben zerschmetterten.
    Nach einer Weile bemerkte ich, dass mich niemand aufhielt. Im Gegenteil, Brens Großvater hatte sich

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