Wände leben - Samhain - Ferner Donner
Themen nachgedacht. Was nun vorgefallen war – so fantastisch es auch sein mochte –, erschien ihr nur natürlich, logisch und selbstverständlich.
Als sie die Tiefgarage verließen, kamen ihnen Harald und Johannes entgegen, zusammen mit der fremden Frau, von der die Rede gewesen war. Sie sahen etwas ramponiert aus, waren jedoch nicht ernsthaft verletzt worden. Die lebendigen Wände hatten sich in dem Moment in toten, geduldigen Stein zurückverwandelt, als der Wagen zerstört wurde. Nicht der Geist ihres Vaters alleine war es gewesen, der die unglaublichen Ereignisse in Gang gesetzt hatte. Ohne die Maschine, den Motor, dieses mechanische Herz, wäre das alles nicht möglich gewesen.
11
Ihre Finger krochen an der Wand empor, fanden den Lichtschalter und drückten ihn. Das kleine Zimmer versank in Dunkelheit. Das Bett war weich. Ihre Körper waren es auch.
Tim rieb seine Wangen an ihrem nackten Bauch, vergrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten, schob seine Hände unter sie, umschlang sie, kroch an ihr auf und ab. Karla entwand sich ihm, drehte ihn sanft auf den Rücken und bedeckte seinen Körper mit Küssen. Immer wieder blieb die Zeit stehen, ruckelte, bewegte sich wieder, hielt an, wenn sie sich aneinander pressten und sich wieder voneinander lösten.
Karlas schwere Brüste baumelten über seinem Gesicht, er küsste sie, liebkoste sie mit der Zunge, mit den Händen. Ihre Finger waren an seinen Schenkeln, verirrten sich und fanden wieder auf den rechten Weg zurück, in einem Spiel, das ihn beinahe um den Verstand brachte.
Das Zimmer war winzig, die Fenster geschlossen, doch er fühlte sich nicht beengt davon. Im Gegenteil: In der Enge fand sich die Weite des Universums. Er fühlte sich gut darin aufgehoben.
Tim zuckte zusammen, als ihre Hand am Ziel ihrer Reise angekommen war. Kalte und heiße Schauer wanderten durch seinen Körper. „Was ist das?“, wisperte sie und zog etwas Gummiartiges von seiner empfindlichsten Stelle herab.
„Das … ich dachte …“
Blitzschnell waren ihre Lippen dort, wo eben ihre Finger gespielt hatten. „Ich will das Leben“, hauchte Karla. „Es muss warm sein, voller Blut und Energie. Alles andere interessiert mich nicht.“
Dann verstummte sie, und er spürte sehr gut, warum sie nicht mehr weitersprechen konnte.
ENDE DER EPISODE
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Nr. 43 -
Samhain - Nacht der Seelen
1
Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man.
Das ist richtig. Doch manchmal reißt sie auch alte Wunden wieder auf.
Die letzten dreißig Jahre waren auf der Seite von Clarence gewesen, hatten ihr geholfen, den Verlust ihres Ehemannes zu überwinden. Die Zeit hatte das wunderbare alte Haus mit den zahllosen Giebeln und Nischen benutzt, um den Schmerz der Frau zu lindern, und ebenso hatte sie den Garten benutzt, dieses wilde, blühende Reich. Das Haus und der Garten – wenn man sich in ihnen bewegte, bekam man unwillkürlich den Eindruck, alle Märchenerzähler und Autoren von romantischen Geschichten müssten mindestens einmal in ihrem Leben hier gewesen sein, um sich inspirieren zu lassen.
Natürlich konnte das nicht wahr sein. Es war einfach nur ein Ort, wie es in England viele gab. Hohe Hecken, niedrige, kuschelige Bäume mit weit herabhängenden Zweigen, überwucherte Lauben und rosenumrankte Portale, die nirgendwohin führten als nur von einem Punkt des Gartens zum anderen … und mittendrin ein Haus, wie geschaffen für diese Umgebung. Anfangs war es rasch gealtert, bis es nach zehn Jahren bereits aussah, als stamme es aus früheren Jahrhunderten. Und dann hatte es einfach aufgehört, sich zu verändern, hatte den Atem angehalten und war immer ein altes Haus geblieben, ohne jemals eine Ruine zu werden.
Obwohl Haus und Garten für Clarence voller Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann Frederic waren, wirkten sie wie Labsal. Anstatt zu zerbröckeln und dem Tod anheim zu fallen, blieb das Haus immer dasselbe und schenkte ihr die schöne Illusion, mit dem Heimgang ihres Mannes habe sich nichts geändert. Der Garten brachte Jahr um Jahr neues Leben hervor und tröstete sie. So war sie immer eine ausgeglichene Dame geblieben, alleine, aber nicht einsam, melancholisch, aber nie verzweifelt. In einer dieser engen, grauen Stadtwohnungen hätte sie den Verlust ihres geliebten Frederic nicht so lange ertragen können, das wusste sie.
Und nun, da sie das dreiundachtzigste Lebensjahr vollendet hatte, sollte das alles enden. Sie war zu alt geworden, um sich selbst zu versorgen. Die
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