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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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konnte nicht fehlgehen – er konnte nur über sein Ziel hinausschießen. Wenn er Gilbert rief … würde dann auch Gilbert erscheinen? Oder hielt sich schon jemand anderes bereit, um an seiner Stelle den Schritt vom Jenseits in die Welt der Lebenden zu machen?
    Es war immer ein Risiko, das Portal aufzustoßen. Wer es durchquerte, ließ sich nie mit absoluter Sicherheit bestimmen. Kräfte waren am Werk, die sich nicht bis ins letzte Detail kontrollieren ließen. Und in dieser Nacht war es ihm, als warte hinter der Wand, der die beiden Welten trennte, eine unermessliche Zahl von Entitäten darauf, dass jemand die Tür aufstieß.
    Rührte es daher, dass Samhain war? Oder spielte noch ein anderer Faktor eine Rolle, den er nicht abschätzen konnte?
    Langsam erhob er sich wieder und ging mit winzigen, gemächlichen Schritten die Gräber ab. Er tat es dreimal. Beim dritten Mal spürte er, wie ihn eines davon anzuziehen begann. Er ging davor in die Hocke, kniff die Augen zusammen und versuchte angestrengt, die Aufschrift auf dem verwitterten Stein zu entschlüsseln. Zuerst las er den Nachnamen: Trout oder Tront oder Trowt. Gilberts Familienname war ihm unbekannt. Der Vorname war schwieriger zu entziffern, aber er schien tatsächlich mit einem G zu beginnen.
    „Gilbert“, flüsterte er. „Wenn dich wirklich etwas bedroht, dann verrate mir, was es ist. Vielleicht ist es nicht gut, wenn ich dich rufe. Vielleicht bringe ich damit etwas auf deine Spur …“
    Es erfolgte keine Antwort. Ächzend erhob sich der Mann und begann einen einfachen Kreis um das Grab zu ziehen. Er kniete sich innerhalb des Kreises, direkt neben dem Grab, auf den nassen Boden und presste seine Handfläche auf die Erde, unter der Gilberts sterbliche Überreste begraben sein mussten – falls die Botschaft keine Lüge gewesen war. Die Kälte floss unter seine Handflächen, schien den Boden darunter zu vereisen und schmerzte so sehr, dass er alle Willenskraft aufwenden musste, um sich nicht von dem Grab zu lösen.
    Ein Schleier eines sanft leuchtenden Gases waberte über den Grabstein. Die Luft wurde unruhig, als sich warme und kalte Strömungen abwechselten. Dann war das merkwürdige Phänomen wieder vorüber.
    „Was geht hier vor, Gilbert?“, fragte der Mann. „Ich kann nur helfen, wenn ich es verstehe.“
    Die Kälte unter Sir Darrens Händen wurde mörderisch. Eine Eisschicht bildete sich auf seiner Hand, und die Finger wurden gefühllos. Noch ein paar Sekunden, länger würde er es nicht aushalten!
    Die Stimme schien unmittelbar aus der Erde zu kommen, nicht nur aus dem Grab vor ihm, sondern aus allen gleichzeitig. „Sie … müssen … das … Feuer … löschen … und … das … Ritual … abbrechen.“
    „Warum?“, presste Sir Darren hervor. Doch dann überschritt die Kälte das Maß des Erträglichen, und er riss seine Hände von der Erde los. Unwillkürlich kam ein Schmerzensschrei über seine Lippen, als ein Stück Haut an dem gefrorenen Boden haften blieb. Blut tropfte auf die Graberde. Sir Darren ärgerte sich darüber. Frisches Blut und Graberde waren keine gute Mischung in einer Nacht wie dieser. Es wurmte ihn so sehr, dass der Schmerz zweitrangig wurde.
    Der sprachliche Kontakt zu Gilbert war abgebrochen, auch wenn er deutlich spüren konnte, dass sich der Geistführer noch in seiner Nähe befand. Er war jetzt ziemlich sicher, dass es sich tatsächlich um Gilbert handelte. Also war es wohl keine Falle.
    Aber aufatmen durfte er deswegen noch lange nicht.
    Gilbert hatte ihn angefleht. Er wollte, dass die Menschen dort drüben auf der Wiese ihren Ritus unterbrachen. Die Frage nach dem Warum musste er vorläufig zurückstellen, auch wenn das nicht seine Art als Wissenschaftler war.
    Ruckartig richtete sich Sir Darren auf. Die verletzte Hand hatte er in die Tasche gesteckt, um nicht noch mehr Blut an diesem Ort zu verlieren. Ungeschickt stolperte er über die Grabsteine. Er trat dabei auf die anderen Gräber, und es störte ihn, aber er konnte es nicht ändern. Gilbert hatte nicht geklungen, als ob ihm viel Zeit bliebe. In großer Eile suchte er den Weg zurück zu dem flachen Hang, der ihn auf die Ebene hinauf führte. Wenn er einen Blick hinter sich warf, war von dem niedrigen, halb versunkenen Friedhof nichts mehr zu erkennen. Die Dunkelheit hatte ihn aufgesogen.
    Hinter der Dunkelheit allerdings schien etwas zu lauern.
    Er wusste nicht, was es war, aber er fürchtete, dass er es bald erfahren würde. Es kam nämlich näher.
    Und es

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