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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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anders als Michael, nicht so sehr betroffen davon zu sein. Und Ellie, die allerdings darauf achtete, ihre Gefühle nicht zu zeigen, schöpfte neue Hoffnung   – so weit das überhaupt möglich war, in Anbetracht des Rinderwahns, der alles so aussichtslos machte. Wenigstens war jetzt Tom aus dem Weg.
    Von da an hatte Ellie sich ein paar zusätzliche Wünsche gestattet. Was blieb ihr sonst, als sich Dinge zu wünschen? Und als sich nicht allzu lange nach Toms Abgang auch Michael Luxton, auf seine Art, abgesetzt hatte, kam sie zu dem Schluss, dass sich etwas zu wünschen doch nicht so sinnlos war, schließlich konnte es ja zu echten Resultaten führen. Andererseits gab es Grenzen, ernste Grenzen für Wünsche, auch wenn man sie heimlich hatte. Außerdem fing sie an, sich vor ihren eigenen Wünschen zu fürchten. »Aus dem Weg«   – das war doch nur eine Redewendung.
    Doch dann kam der Brief, aus heiterem Himmel, von einem Mann, den sie »Onkel Tony« nannte, als hätte sie ihn ihr Leben lang gekannt. Oder vielmehr von seinemAnwalt, Gibbs und Parker aus Newport auf der Isle of Wight, mit ihren Beileidsbekundungen und freundlichen Grüßen.
    Bei all ihrem geheimen Wünschen und Hoffen war Ellie nie so töricht gewesen, sich ein glattes Wunder herbeizuwünschen. Sicher, manchmal zog sie Jack mit ihrem »geheimnisvollen Unbekannten« auf. Aber jetzt, da das Wunder tatsächlich geschehen war   – und es gewissermaßen einen geheimnisvollen Unbekannten gab   –, deutete sie es schnell um als Akt der Gerechtigkeit, ja, als   – in einem wilden Sinn   – Rechtfertigung. Sie hatte also doch nicht so falsch gelegen, als sie ihre Mutter nicht in Grund und Boden verdammt hatte. Denn am Ende, und ohne es selbst zu wissen, hatte ihre Mutter den Schaden wiedergutgemacht.
    »Wohnwagen, Jacko.«
    Sie schwang den Zauberstab dieses Wortes über Jacks Kopf und malte ihm ihre gemeinsame und rundum versorgte Zukunft aus. Allerdings hatte sie warten müssen. Sie hatte auf ein weiteres Ereignis, das eine Vorbedingung war, warten müssen. Und das dann schneller, als sie es sich vorgestellt oder   – Hand aufs Herz   – gewünscht hatte, eingetreten war. Doch nachdem es nun geschehen war, konnte sie es so deuten, dass es vielleicht deshalb geschehen war, weil sie es sich gewünscht hatte.
    Jedenfalls hatte Jack gesagt: »Ja, gut, Ellie.« Auch wenn er es nicht so einfach und bereitwillig gesagt hatte, und auch wenn es ihr, auf die eine oder andere Weise, manches an Geduld, Sorge und Herzeleid abgefordert hatte.
    Aber war nicht der Nachmittag damals, der Nachmittag auf der Jebb Farm, der beste überhaupt? War die Welt nicht endlich so, dass man gerne in ihr leben wollte?
    Es gab nur eine Lücke in dem Bild, und das war die Lücke, die mit dem Teil von Jack zu tun hatte, der zu Tom gehörte, obwohl Tom zu dem Zeitpunkt schon länger als anderthalb Jahre abwesend war und keinen einzigen Brief beantwortet hatte. Sie wusste, dass sie nicht zu hastig oder offensichtlich drängen durfte. Schließlich lief schon so vieles in ihrem Sinne, außerdem war sie immer noch keine achtundzwanzig. Als sie dann doch auf den Punkt zu sprechen kam   – sanft, hatte sie gedacht   –, lautete Jacks Antwort, die schnell und deutlich kam: Wenn er die Jebb Farm verließe und der letzte der Luxtons wäre, der die Farm bewirtschaftete, dann sollte es keine weiteren Luxtons geben.
    Als hätte sie ihn zu weit getrieben. Oder als wäre das seine Bedingung.
    Gut, dachte sie, so war er eben in diesem Moment gestimmt. Es war ein großer Moment   – sie würden beide Farmen verkaufen   – und eine große Bedingung. Und vielleicht dauerte Jacks Trauer um seinen Vater noch an. Trauer und Schock. Es war eine andere Art von Trauer, Jacks Trauer um seinen Vater, verglichen mit ihrer Trauer um ihren Vater. Es war auch ein anderer Tod. Aber   – war es nicht ein erprobtes Rezept gegen Trauer: Man verliert einen Menschen und macht einen neuen? Es war bekannt, dass man es so machen konnte.
    Noch hatte sie Zeit vor sich, dachte sie im Gedanken an die Lücke im Bild. Zeit und einen Ortswechsel. Aber damals war sie siebenundzwanzig gewesen, jetzt ging sieauf die vierzig zu. Die Jahre waren ins Land gegangen. Und obwohl Jack schon lange die Umklammerung seiner Vergangenheit abgeschüttelt und sich sogar in einen anderen Menschen verwandelt hatte (auch das schien ihr das Ergebnis ihrer Wünsche), wusste sie doch, dass das Hindernis immer noch Tom war, Tom, der Teil

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