Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
Vom Netzwerk:
wusste nicht viel über die Armee, aber ihrem Verständnis nach war es eine einfache, umfassende Lösung für einen Mann in Toms Alter, und Tom war ja keinesfalls der erste. Vom Kuhstall auf einer runtergekommenen Farm zur Kaserne. Die Hauptsache war, er war
davongekommen
. Er hatte bewiesen, dass es möglich war. Tom war da ihrer eigenen Mutter nicht unähnlich. Und Jack hätte es auch tun können, schon vor acht Jahren. Aber damals lebte seine Mutter noch, und Tom war gerade mal zehn.
    Außerdem, wenn Jack abgehauen wäre und sich irgendwo gemeldet hätte, dann hätte er
sie
, Ellie, verlassen.
    Sie kannte Jack nicht? Sie wusste nicht, wie es wirklich zwischen ihnen beiden war? Oh, doch, das wusste sie.
    Vor langer Zeit, als Ellie, so wie Jack, noch zur Schule ging, auf die winzige Grundschule in Marleston, war eines Tages die Eifersucht in Ellies Leben getreten, ausgelöst durch einen Neuankömmling auf der Jebb Farm. Anfangs hatte sie gedacht, dieses seltsame, zerrende Gefühl sei entstanden, weil sie selbst auch gern so etwas gehabt hätte, ein Brüderchen oder ein Schwesterchen. Bis zu dem Zeitpunkt waren Jack und sie gleich gewesen, in dem Sinne, dass sie beide keine Geschwister hatten.
    Aber ein Überraschungsereignis wie das auf der Jebb Farm zeigte sich auf der Westcott Farm nicht an, und ein paar Jahre später, nachdem Ellies Mutter sich plötzlich aus dem Staub gemacht hatte, konnte davon ohnehin keine Rede mehr sein. Zu der Zeit war es, was Neuankömmlinge anging, viel wahrscheinlicher, dass Ellie selbst, wenn sie sich nicht vorsah, schwanger werden könnte. Aber inzwischen war Ellie auch mit ihrer Eifersucht erwachsen geworden und wusste, dass weniger der Wunsch nach einem Geschwister der Grund dafür war, als die Tatsache, dass ein Teil von Jack seinem Bruder gehörte.
    Wie groß war der Schmerz gewesen, den sie angestrengt verstecken musste, als die drei   – Jack, Tom, Vera   – zwei Jahre hintereinander verreist waren. Nur für eine Woche, aber es hatte ihre Eifersucht angefacht. Und dann, wie war ihr das Herz aufgegangen, als sie die Postkarte aus Dorset bekam.
    »Wir wohnen alle in einem Wohnwagen, der Maralin heißt.«
    Eifersucht war vielleicht nicht das richtige Wort, nachdem ihre Mutter abgehauen war. Ellie war mit einemGroll gegen Tom Luxton aufgewachsen, ein Groll, den sie versteckt hatte. So gut versteckt, dass sie manchmal vorgab, ihn zu lieben, so wie sein Bruder ihn liebte. War er nicht einfach süß? Einmal hatten sie auch gespielt, dass sie und Jack Toms Eltern waren.
    War er nicht einfach entzückend? Das alles führte wenige Jahre später, als Tom alt genug war, um sich für Mädchen zu interessieren   – und Mädchen sich für ihn   –, zu einigen Komplikationen. Natürlich sah sie, dass Tom der Typ war, in den sich jedes Mädchen verknallen würde. Oder sich sogar für ihn hinlegen würde, wie die kleine Kathy Hawkes. Na, viel Glück wünschte sie der. Und natürlich sah sie, dass es manchmal eine Spur von Unbehagen, von Eifersucht gab, aus anderer Richtung, nämlich von Jack.
    Gut, es sorgte für einen gewissen Ausgleich. Sie hatte ihm nicht unmissverständlich gesagt, er solle nicht so blöd sein. Aber sah er das denn nicht? Sah Jack das nicht? Acht Jahre waren acht Jahre. Und jeder hatte begriffen, auch wenn Jack es nicht begreifen konnte, dass sie   – man konnte sie für dumm oder für nicht wählerisch genug halten   – zu Jack gehörte, und nur zu Jack, schlicht und einfach. So war es nun einmal. Und so war sie. Woher sonst kam ihr Groll?
    Aber Jack hatte nie gesehen, nie bemerkt, welches der wirkliche Grund war, warum er keine Eifersucht zu spüren brauchte. Dass sie nämlich ganz auf den kleinen Tom hätte verzichten können. Tom selbst, der sah das, und das wusste sie. Er hatte einen schärferen Blick als sein Bruder. Aber er hielt einfach die Klappe.
    Es waren nicht ganz hundert Prozent, der Teil vonJack, den sie ihr Eigen nennen konnte, und das, was ihr war, konnte sie nach dem Verschwinden ihrer Mutter nur an ein, zwei Nachmittagen in der Woche wirklich in Besitz nehmen. Und auch dann nur in Raten, die ihr Vater bewilligte. Auch Jack war Sklave seines Vaters, außerdem war er der Liebling seiner Mutter (das wusste Ellie und machte es Vera nicht zum Vorwurf), und dann war da ein großer Teil, der seinem Bruder gehörte. Wie viel blieb da noch für Ellie?
    Doch dann war Vera gestorben. Dann war Tom fortgegangen. Und oberflächlich betrachtet schien Jack,

Weitere Kostenlose Bücher