Waffenschwestern
kalt; sie war starr vor einer Angst, die sie nie verstanden hatte, wenn sie sich die Abenteuerwürfel ansah oder die alten Bücher aus der Bibliothek ihres Vaters las.
In der Kabine legten sie sie zu viert auf die Koje, ohne sich um ihre Gegenwehr zu scheren, und fesselten ihr die Hände an die Seiten und die Füße zusammen. Sie versuchte mit den Augen zu betteln: lockert den Knebel, nur für eine Minute, bitte, bitte! Die Männer lachten selbstsicher und amüsiert. Ein weiterer trat ein, brachte eine kleine Tasche mit; er drehte ihren Arm … und führte geschickt die Infusionsnadel ein. Sie starrte zu dem Beutel mit Kochsalzlösung hinauf.
»Wenn wir bereit sind«, sagte einer von ihnen, »schicken wir dich schlafen.« Er grinste. »Willkommen in der realen Welt.«
Sie hasste sie; sie wand sich vor Wut. Aber dafür war es zu spät.
Sie würde einschlafen … es würde sich als Traum entpuppen, wenn sie aufwachte. Ein schlechter Traum, ein Angsttraum, und sie würde zu Esmay gehen und ihr davon erzählen und sich dafür entschuldigen, dass sie sie ausgelacht hatte. Sie würde…
Sie erwachte auf ein Schmerzgefühl hin und kämpfte sich ins Bewusstsein empor. Kein Knebel mehr; sie konnte durch den Mundatmen. Hatten sie …? Aber sie spürte die Zunge, die zu groß war, wie ihr schien, und im Mund scheuerte. Also hatten 192
sie es nicht getan. Zumindest noch nicht. Sie schluckte. Die Kehle fühlte sich rau und kratzig an. Sie sah sich vorsichtig um.
Niemand … sie war nach wie vor mit Handschellen ans Bett gefesselt und hatte die Infusionsnadel im Arm, aber es war niemand da. Sie holte aus schierer Erleichterung Luft … ahhh!
Und erstarrte vor Entsetzen. Kein Laut! Sie probierte es erneut. Und erneut. Kein Laut außer dem Hauch der Luft im Hals, der jetzt sehr wehtat. Sie versuchte wenigstens zu flüstern und erkannte, dass sie Worte bilden konnte, dass sie zischen und schnalzen konnte (obwohl die Bewegungen der Zunge die
Schmerzen im Hals verschlimmerten) , aber sie brachte keinen wirklichen Ton hervor, und das Flüstern war kaum geeignet, ein kleines Zimmer zu durchdringen.
Fast gleichzeitig glitt die Tür auf, und der Mann, der Brun die Infusion gelegt hatte, trat ein.
»Du musst trinken«, sagte er. Er hielt ihr einen Strohhalm an den Mund. »Trink das.«
Das Getränk war kalt und schmeckte nach Pfefferminz. Brun konnte schlucken … aber nichts sagen. Der Hals tat weh, als die Flüssigkeit hindurchfloss, und fühlte sich dann besser an.
»Du hast bemerkt, was wir getan haben«, sagte er. »Die
Stimmbänder und ein paar Muskeln herausgeschnitten. Die Zunge ist geblieben – du kannst normal essen und schlucken und all das. Aber nicht reden. Und nein, sie werden nicht nachwachsen. Nicht bei dem, was wir gemacht haben.«
Es musste ein Traum sein, aber sie hatte noch nie einen Traum gehabt, der sich so real anfühlte. Die kalte Luft auf der Haut, die Schmerzen, die daraus resultierten, dass sie zu lange in einer Stellung festgebunden war, die Schmerzen im Hals und …
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die Lautlosigkeit, wenn sie zu reden versuchte. Sie bemühte sich um ein Flüstern, darum, Worte zu bilden, aber der Mann legte ihr gleich die Hand auf den Mund.
»Hör auf damit! Du darfst nicht mit Männern reden, niemals.
Wenn du uns gegenüber Grimassen schneidest, wirst du
bestraft.«
Sie schnitt keine Grimassen, sie wollte ihm etwas sagen. Wie war nur möglich, dass er das nicht erkannte?
»Nichts, was du zu sagen hast, ist wichtig für uns. Später, wenn du gehorsam bist, darfst du dich in den Unterkünften der Frauen per Lippensprache mit anderen Frauen unterhalten. Aber weder jetzt noch jemals später mit Männern. So – jetzt werde ich dich untersuchen. Tue, was ich dir sage.«
Die Untersuchung war klinisch und vollständig, aber nicht brutal; er legte ihrem Körper gegenüber die gleiche ruhige Kompetenz an den Tag, wie sie die Ärzte in den Kliniken ihres Vaters gezeigt hatten. Die Ergebnisse sprach er laut auf einen Recorder. Brun erfuhr, dass sie jetzt als Gefangene 4
katalogisiert war, genverändert, fruchtbar. Ihre unmittelbare Befriedigung über diesen Irrtum verschwand wieder, als er das fruchtbarkeitshemmende Implantat hochhielt und ihr damit klar wurde, dass man es entfernt hatte. Durch den Dunstschleier der Medikamente hindurch spürte sie jetzt den Schmerz im linken Bein, den der Einschnitt hinterlassen hatte. Also war sie inzwischen fruchtbar – oder konnte es bald sein, falls diese Leute sich
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