Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
Baumann und Lutz Baumann. Auch für die Drogen bastelte sie einen eigenen Kreis, selbst wenn sie die schon an den Pfeilen notiert hatte.
Sie schob die bunten Kreise auf ihrer Zeichnung umher. Ute Baumann legte sie ganz nah neben Fabian Baumann. Die Drogen platzierte sie zwischen Fabian Baumann und Malte Kleen. Etwas unschlüssig betrachtete sie den blauen Kreis, der Lutz Baumann darstellen sollte. Vom Gefühl her müsste er oberhalb der anderen liegen. Wie ein Marionettenspieler, der die Fäden in der Hand hielt. Ja, so erschien es ihr richtig. Sie griff gerade nach ihrem Becher, um einen Schluck des inzwischen lauwarmen Tees zu trinken, als Oda hereinkam.
»Lass uns noch mal mit der Brandis reden«, sagte sie, »ich hab gerade mit ihr telefoniert, sie wartet auf uns.« Oda bemerkte die Zettel auf Christines Schreibtisch und trat näher. »Cool. Ist ’ne gute Idee, das so zu machen.«
Um besser sehen zu können, legte sie den Kopf schief, trat dann aber hinter Christine, sodass sie den gleichen Blickwinkel hatten. »Ja. Die Drogen würde ich auch zwischen die beiden Toten schieben. Aber den Wilken würde ich nicht so an den Rand setzen. Ich glaub, der spielt eine Rolle. Gib dem doch auch einen bunten Kreis.«
Oda kramte einen grünen Zettel aus dem Papierhalter; dabei fiel der Umschlag herunter, dem Christine bislang keine Beachtung geschenkt hatte. Oda hob ihn auf.
»Ah, ein anonymer Verehrer.« Sie zwinkerte Christine zu und legte den Brief auf die Zeichnung.
»Das Übliche in solchen Fällen.« Christine bastelte schnell einen grünen Kreis, schrieb »Wilken« darauf und schob ihn in Richtung der anderen Kreise auf dem Papier. »Meinst du, hier liegt er richtig?«, fragte sie Oda.
Die verzog abwägend den Mund. »Lass uns das entscheiden, nachdem wir mit Nora Brandis und auch noch mal mit den Kollegen auf der ›Jever‹ gesprochen haben«, schlug sie vor.
»Du hast recht.« Christine ließ alles so auf ihrem Schreibtisch liegen, wie es war, schnappte sich ihre Jacke und die große Tasche und verließ gemeinsam mit Oda das Büro.
* * *
Lutz Baumann saß in seinem Büro in der Vierten Einfahrt, wie der Marinestützpunkt Heppenser Groden von den Wilhelmshavenern genannt wurde, und stierte auf den Monitor. Er war sehr früh aufgestanden, hatte nicht mehr einschlafen können, nachdem er um halb fünf wach geworden war. Wieder einmal hatte er im Gästezimmer übernachtet. An Utes Seite schlief er schon seit Monaten nicht mehr. Ihr gegenüber hatte er den Auszug aus dem Schlafzimmer damit begründet, dass sie derart schnarchte, dass er keine Ruhe fand. Doch das war vorgeschoben. Ob Ute tatsächlich schnarchte, wusste er nicht, normalerweise schlief er tief und fest, aber es ging eben nicht mehr, neben Ute zu liegen.
Er dachte an den Vorwurf, den sie ihm in ihrer Angst gemacht hatte. Leider lag sie gar nicht so falsch mit ihren Befürchtungen. Lutz empfand Nora gegenüber nicht so, wie ein Mann der Freundin seines Sohnes gegenüber empfinden sollte. Da war wesentlich mehr. Nora brachte ihn zum Lachen. Mit Nora konnte er über alles und jeden reden, sie interessierte sich für das, was er erzählte. Sie war intelligent und geistig wendig, konnte von einem ernsten Thema ebenso schnell auf ein humoriges umschwenken wie andersherum. Sie war voller Leben, voller Neugier und voller Lust auf das, was es an Schönem in der Welt zu erfahren gab. Wenn Lutz Nora sah, ging für ihn jedes Mal die Sonne auf.
Er hatte geglaubt, sie würde das genauso sehen. Warum sonst hätte sie sich immer wieder allein mit ihm getroffen. Warum sonst hatten sie sich miteinander wohlgefühlt, im Auto am Banter See sitzend und redend. Das hatte so etwas Intimes gehabt, auch ohne körperliche Intimität. Es war besonders gewesen. Er hatte geglaubt, sie sei in demselben Zwiespalt gefangen wie er, müsse ihre Gefühle ihm gegenüber unterdrücken. Er hatte geglaubt, wenn er nicht Fabians Vater gewesen wäre, sondern ein Fremder, hätte sie längst mit Fabian Schluss gemacht.
Und so hatte er sich zurückgehalten, hatte die Liebe zu seinem Sohn über die Zuneigung – anders wagte er es nicht zu bezeichnen – zu Nora gestellt. Und war nun hin- und hergerissen zwischen seiner Trauer um Fabian und den Gefühlen zu Nora.
Er verachtete sich dafür, dass er nicht so fühlte wie Ute.
Er verachtete sich dafür, dass ein Teil seines Selbst zufrieden war, keinen Konkurrenten um Nora mehr zu haben. Und er verachtete sich dafür, seiner Frau, mit der
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