Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
und ökonomisch veranlagter Mensch war, gerade im Hinblick auf Treppenstufen, war sie heute Morgen als Erstes in Manssens Büro im Hochparterre aufgeschlagen, bevor sie die weiteren Etagen in ihr Büro hochlief.
»Ja.« Manssen sah unverschämt ausgeschlafen und fit aus. So würde sie sich auch gern fühlen, aber gestern hatten Jürgen und sie spontan mit Freunden gekocht. Und das hatte gedauert, ganz nach dem Motto: Gut Ding will Weile haben. So gab es beim Zubereiten der Speisen den ersten Wein, und die verschiedenen Gänge benötigten ebenfalls ihre Zeit.
Die Gespräche waren intensiv gewesen. Bis weit nach Mitternacht hatten sie mit Werner, der Banker war, und seiner Frau Ingrid über die Zukunft Europas diskutiert, vor allem aber über die Deutschlands, über den ESM , den Europäischen Stabilitätsmechanismus, und die schier unvorstellbaren Garantien, zu denen Deutschland sich verpflichtete, aber auch darüber, dass die Staatsschulden der Krisenländer drei Komma neun Billionen Euro betrugen, die Schulden der Banken dieser Krisenländer jedoch neun Komma neun Billionen Euro. Oda hatte sich bislang nie so intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt, weil es ihr zu hoch erschien und weil sie wusste, sie konnte von ihrem kleinen Posten aus ohnehin nichts gegen die Entscheidung der Politiker tun. In den vergangenen Monaten und vor allem im gestrigen Gespräch war ihr der Irrsinn, dem Deutschland entgegenlief, zum ersten Mal so richtig klar geworden.
»Dennoch können wir nicht ausschließen, dass noch jemand anderer die Flasche in den Fingern hatte«, sagte Manssen, »denn Baumanns daktyloskopische Spuren waren zum Teil verwischt.«
»Das heißt?«
»Definitiv gibt es zwei verschiedene Fingerabdrücke. Die Wischer können durch eine dritte Person, aber auch durch Reibung in der Tasche entstanden sein.«
»Eine dritte Person. Aha.« Oda runzelte die Stirn und wandte sich zum Gehen. Auch das noch.
»Halt. Stopp. Nicht dass du dich jetzt in irgendwas verrennst. Ich hab dir lediglich alle Möglichkeiten aufgezeigt.«
»So wie ich dich kenne, gehst du bei diesem Zufall von gut getarnter Absicht aus«, vermutete Oda.
»Ach weißt du«, entgegnete Manssen mit einem müden Lächeln, »ich bin schon so lange im Geschäft und hab so viel vermutet, was nachher dann doch nicht stimmte, da verzichte ich mittlerweile lieber auf Schlussfolgerungen. Ich sage euch, was ich gefunden hab, und es ist euer Job, herauszufinden, inwieweit meine Fakten zu euren Überlegungen passen.«
»Mensch, Manssen, ich hab ja gedacht, bei mir wäre der Einstieg in den Tag schwierig gewesen, aber dir scheint eine noch gewaltigere Laus über die Leber gelaufen zu sein«, sagte Oda mitfühlend. So pessimistisch kannte sie den Kriminaltechniker, der immerhin einer ihrer liebsten Kollegen war, gar nicht.
»Unsinn.« Mit einem Mal war Manssen wieder gut gelaunt. »Ist nur so ernüchternd, wenn man Fakten hat, von denen man denkt, sie bringen den Durchbruch, durch die aber letztlich nur noch mehr Fragen aufgeworfen werden.« Er zwinkerte Oda zu und gab ihr einen freundschaftlichen Klaps auf den Oberarm. »Du kriegst das schon hin. Wenn ich einen Menschen in der Polizeiinspektion kenne, der alles aus anderen herauskitzelt, dann bist du es.«
Oda lachte auf. »Hey, willst du auf deine alten Tage noch ein Charmeur werden?«
»Ich glaub nicht. Das wäre mir auf Dauer viel zu anstrengend.«
* * *
Unter der Post, die die Kollegin im Haus verteilte, befand sich ein Schreiben, das zwar ausdrücklich an sie persönlich adressiert, aber ohne Absender war. Das war nichts Neues. Gerade in Mordermittlungen nicht, da gab es immer irgendwelche Spinner, die sich hinter der Anonymität versteckten und andere der Straftat bezichtigten. Christine legte den Brief zur Seite. Dafür war später noch Zeit. Die Berichte der Kollegen, die mit den Nachbarn von Fabian Baumann und Malte Kleen gesprochen hatten, die Untersuchungsergebnisse der Kriminaltechnik, die Ergebnisse, die Lemke anhand der überprüften Telefonlisten von Fabian Baumann geliefert hatte, all das erforderte ihre volle Aufmerksamkeit. Das letzte und wahrscheinlich wichtigste Telefonat, das Baumann am Vorabend seines Todes geführt hatte, war von einem Prepaid-Handy gekommen, das nicht mehr aktiviert und auf einen nicht existenten Namen registriert war. Das ärgerte Christine außerordentlich.
Zudem war Baumanns Handy bislang nirgendwo aufgetaucht. Das von Malte Kleen hatte man zwar in dessen Auto
Weitere Kostenlose Bücher