Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
Vorgängerinnen geblieben war. Zunächst hatte Lutz sie väterlich wohlwollend betrachtet. Ein weiteres Spielzeug für seinen Sohn. Nicht mehr. Doch irgendwann hatte Ute festgestellt, dass ihr Mann gern ebenfalls mit Fabians Spielzeug gespielt hätte. Und im Laufe des letzten halben Jahres hatte sie bemerkt, dass dieser Wunsch zu einem Verlangen geworden war. Fabian hatte es nicht sehen wollen, dabei war es offensichtlich. Selbst Saskia hatte manchmal einen schrägen Kommentar auf den Lippen gehabt, wenn Lutz wieder etwas für oder mit Nora unternommen hatte, während Fabian auf See war.
Als sie Fabian schließlich darauf angesprochen hatte, war dessen Reaktion barsch gewesen. »Du solltest nicht so viel saufen, Mutti«, hatte er gesagt. »Nora und Papa? Mit dir sind ja wohl sämtliche Pferde durchgegangen.«
Dieses Gespräch war gar nicht so lange her. Es hatte am Tag vor Fabians Tod stattgefunden.
Fabian hatte sich nicht mit diesem einen Satz begnügt. Er hatte sie bewusst und – wie es ihr vorkam – voller Genugtuung gedemütigt. Ihr vorgeworfen, sie brauche sich nicht zu wundern, wenn sein Vater anderen Frauen hinterherschaute, so verknöchert und humorlos, wie sie war. Da sei es nur logisch, dass Lutz, der mit Mitte fünfzig ja noch in Saft und Kraft stand, sich anderweitig umsah. Jedes von Fabians Worten war wie ein Messerstich für Ute gewesen.
Dass ihr eigener Sohn sich ihr gegenüber so verhielt, war ein Schock für sie gewesen. Sie hatte ihn doch unter ihrem Herzen getragen. Sie hatte ihn zur Welt gebracht, an ihrer Brust genährt. Wo war die sprichwörtliche Verbundenheit zwischen Sohn und Mutter? Wo die unsichtbare Nabelschnur, die ein Leben lang existieren sollte?
Er war gegangen nach diesem Gespräch. Ziemlich erbost gegangen. Sie hatte die nächste Flasche Rotwein getrunken. Dass sie ihn noch angerufen hatte, daran erinnerte sie sich nicht. Sie hatte nur am Morgen erstaunt gesehen, dass das Prepaid-Handy neben ihr im Bett lag. Fabian hatte es vor zwei Jahren für sie bei Aldi gekauft und sie gebeten, es nachts auf ihren Nachttisch zu legen. Falls es mal einen Stromausfall gebe und sie Hilfe brauche. Damals war er noch besorgt um sie gewesen, und Lutz war ja auch heute noch viel unterwegs.
Ein unkontrolliertes Schluchzen stieg in Ute auf. Sie hatte in der Nacht, in der Fabian gestorben war, mit ihm telefoniert, wie sie an der letzten gewählten Nummer auf diesem Handy gesehen hatte. Doch sie erinnerte sich nicht mehr daran.
Was hatte sie ihrem Sohn gesagt? War sie immer noch wütend gewesen, oder hatte sie ihn angefleht, ihr zu verzeihen? Sicher war Letzteres der Fall. Sie suchte, egal, nach was für einem Streit, stets die Schuld bei sich. Nie bei Lutz, Fabian oder Saskia. Warum sollte es an diesem Abend anders gewesen sein?
Mit diesem Gedanken versuchte sie sich zu beruhigen. Sie hatte Fabian um Vergebung gebeten. Und um die Möglichkeit, ihm das unter vier Augen sagen, ihn in den Arm nehmen zu können.
Man durfte nie im Zorn aufeinander zu Bett gehen. Das durfte man nie. Denn wenn es ein Unglück gab, konnte man die zornigen Worte nicht mehr zurücknehmen.
Ich würde alles dafür geben, zu erfahren, was ich dir in unserem letzten Telefonat gesagt habe, dachte Ute Baumann in stillem Zwiegespräch mit ihrem Sohn, während sie aus dem Weinregal im Keller eine Flasche Rotwein zog und zum Kellnermesser griff.
* * *
Ich frage mich, ob die Bilder schon ihre Wirkung entfalten konnten? Es amüsiert mich, mir vorzustellen, was das Foto bei Volker ausgelöst hat. Er ist nicht dumm. Er wird sofort wissen, in welcher Zwickmühle er sich befindet.
Er ist der Sensibelste der drei. Darum ist er auch als Letzter dran. Volker denkt mit. Fabian und Malte haben nur an sich gedacht. Sie hätten die Lehre, die ich ihnen erteilen wollte, selbst mit einem Begleitbrief nicht verstanden. Sie hätten das alles einfach abgeschüttelt wie ein Ganter das Wasser auf seinem Gefieder und wären zur Tagesordnung übergegangen.
Ich stelle mir vor, wie Volker über dem Bild sitzt und über den Satz nachgrübelt: Eene, meene, meck … Der alte Kinderreim. So wunderbar doppeldeutig vor dem Hintergrund, dass sowohl Malte als auch Fabian inzwischen im wahrsten Sinn des Wortes weg sind.
Wie wird er reagieren, wenn die Polizei ihn auf das Foto anspricht? Ich wünschte, ich könnte dabei sein. Zu gern würde ich in jenem Moment sein Gesicht sehen. Ich hoffe, dass sie die Aufnahme nicht gleich vor ihn auf den Tisch legen.
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