Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
»Bayern«, ein Schiff der neueren F123-Klasse, war gestern in den Heimathafen eingelaufen. Fast verschmolzen die beiden Kriegsschiffe mit der rauen Nordsee und dem trüben Himmel.
Nein, ohne Kaffee ging jetzt gar nichts mehr. Erst nach einem gehörigen Energiekick wäre er in der Lage, sich wieder seinen Aufgaben zuzuwenden. In dieser Verfassung brauchte er gar nicht groß weiterzumachen. Es käme eh nichts Gescheites dabei heraus.
»Ich bin mal kurz in der Messe«, informierte er den Nav-Meister und verließ die Brücke.
Natürlich gab es in der Messe um diese Zeit keinen Service, den gab es nur zu den Essenszeiten und für Gäste, aber Volker konnte sich am Kaffeeautomaten bedienen. Er stierte in seinen Becher, als er zwei Stimmen vernahm, die er heute nicht hatte hören wollen. Die er eigentlich überhaupt nicht mehr hören wollte. Sein Herz begann stärker zu klopfen.
»Moin, Herr Wilken.« Oda Wagner ließ sich neben ihn auf die rot gepolsterte Sitzbank fallen. »Sagen Sie, sind Sie eigentlich immer hier? Müssen Sie denn nicht auch mal arbeiten?«
Wahrscheinlich meinte sie das scherzhaft, und wenn sie ihm dabei in die Seite gestupst hätte, hätte es ihn nicht gewundert, aber heute kam das irgendwie gar nicht gut bei ihm an. Kurz überlegte er, mit einer schneidenden Antwort zu parieren, entschied sich jedoch dagegen und ging lieber auf den lockeren Ton ein. »Arbeiten? Hier im Hafen? Wie kommen Sie denn auf solche Ideen? Wenn wir in Wilhelmshaven sind, mache ich quasi bezahlten Urlaub«, flunkerte er zwinkernd und hoffte, dass keiner der beiden Kommissarinnen auffiel, wie viel Mühe ihn die scheinbare Leichtigkeit dieser Antwort kostete.
»Echt?« Die Verblüffung in Oda Wagners Stimme klang so natürlich, dass er tatsächlich laut lachte und gestand: »Unsinn. Das war natürlich gesponnen. Auch wenn wir im Hafen liegen, gibt es jede Menge für mich zu tun. Aber dann und wann brauche ich einen vernünftigen Kaffee. Purer Zufall, dass wir uns hier treffen. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir haben ein Foto erhalten«, sagte Christine Cordes, die ihm gegenüber Platz genommen hatte.
»Anonym«, fügte Oda Wagner hinzu.
Volker schluckte. Er hatte sich also geirrt. Es gab keine Schonfrist. Warum aber hatte auch er das Foto erhalten? Das ergab doch keinen Sinn. Womit würde man ihn jetzt erpressen wollen, wenn der Kripo das Bild doch bereits vorlag? Hatte es vielleicht eine Warnung sein sollen, dass die Kripo deswegen auf ihn zukommen würde? Nein. Zu einer Warnung passte der knappe Text nicht. Eene, meene, meck … und du bist weg. Diese sieben Worte sagten nicht: »Pass auf, da kommt was auf dich zu.« Sie waren ein schadenfrohes Händereiben. Ein Hinweis darauf, dass er als Nächster auf einer Abschussliste stand, von der er nicht wusste, wer sie aufgestellt hatte. Und warum. Inzwischen vermutete er, nein, inzwischen war er sich sicher, dass Fabian und Malte die Positionen vor ihm eingenommen hatten. Er zwang sich zur Konzentration. Nur ruhig bleiben. Sich nichts anmerken lassen. »Ein Foto?«, fragte er überrascht.
»Ja. Man erkennt eine männliche Gestalt in Marineuniform.«
»In Marineuniform. Das ist ja nichts Schlimmes. Und unter uns gesagt«, Volker sprach bewusst in konspirativem, flüsterndem Tonfall, »gibt es in Wilhelmshaven jede Menge Menschen in Marineuniform.« Er zwang sich zu lächeln. »Darum gibt es auch sehr viele Fotos von Uniformierten.« Er hoffte, dass seine Furcht nicht mitklang.
»Es ist kein normales Foto«, gestand Christine Cordes. »Man erkennt zwar deutlich den Mann im Vordergrund, der Rest des Bildes aber ist verwischt.«
»Verwischt?« Er runzelte die Stirn. Wieso verwischt? Das Foto, das er erhalten hatte, war doch scharf und deutlich.
»Es scheint bearbeitet worden zu sein«, sagte Oda Wagner. »Den Mann im Vordergrund erkennt man aber. Na ja«, korrigierte sie sich, »man erkennt ihn bestimmt, wenn man ihm schon mal begegnet ist. Für uns ist es dann doch nur die Aufnahme eines Rückens.«
»Eines Rückens. Sie haben ein Foto von einem Marinesoldaten in Uniform vor unscharfem Hintergrund, von dem man nur den Rücken sieht? Verstehe ich Sie da richtig?«
»Jaaa«, sagte Oda Wagner gedehnt, »aber anhand der Statur, der Haarfarbe und des Haarschnittes wird er von seinen Kameraden sicherlich zu identifizieren sein. Christine, gibst du mir das Bild mal bitte?« Während ihre Kollegin in ihrer Handtasche zu kramen begann, erklärte sie: »Der Typ hat dunkle,
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