Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
abgehängt worden. Die Tachonadel schwankte beständig zwischen 150 und 170. Geredet wurde nichts. Die erste Station war nah: Baden. »Geh vor, bleib dran. Ich komme nach«, sagte Droch. Ich ging. Okay, Boss.
Blasmusik, Übergabe von Blumen durch Kinder in Tracht. Eine kurze, von einem pfeifenden Mikrofon verstärkte Willkommensrede des Vizebürgermeisters. Dann ging es zum Kurhaus. Ein neuer Flügel wurde eröffnet, wieder wurden Reden gehalten. Vogl pries die Tradition der Badener Quellen, deren Heilkraft und Zugkraft für den Fremdenverkehr. Anschließend skizzierte er sein Wahlprogramm in zehn Sätzen, einige örtliche Funktionäre und der Kurdirektor erwiderten Artigkeiten. Im Kursaal war ein Frühstücksbüffet vorbereitet. Die rund 100 Schaulustigen und die Honoratioren bedienten sich. Vogl, umgeben von einigen Fotografen und einer TV-Kamera, nahm sich ein deftiges Aufstrichbrot und aß es mit telegenem Genuss. Sein Pressesprecher drängte zum Aufbruch, und als die meisten eben erst zum Büffet vorgedrungen waren, ging es bereits weiter.
Wieder auf die Autobahn, wieder 150 bis 170 Stundenkilometer. Die nächste Abfahrt. Ein amerikanischer Milliardär österreichischer Herkunft hatte in einer Einöde einen riesigen Wohn- und Sportpark errichtet. Villen in historisierendem Stil in Gelb und Weiß rund um einen künstlichen See. Wir fuhren über eine Brücke, neben der ein kleiner, ebenfalls künstlicher Wasserfall plätscherte. Der Golfplatz war frisch angelegt, seine Hügel reichten bis zum Horizont und waren irritierend grün. Das Ganze wirkte virtuell.
»Kann man das wegklicken?«, kicherte ich und vergaß für einen Moment meine Wut. Droch grinste schief.
Der Milliardär kam Vogl mit ausgebreiteten Armen aus dem Klubhaus entgegen. Er musste hinter der Glastüre auf seinen großen Auftritt gewartet haben. Das Klubhaus wollte allem Anschein nach dem Schönbrunner Kaiserschloss Konkurrenz machen. Es war bloß etwas neu und gut verputzt. Viel Fassade auch hier. Der Wahlkampftross war inzwischen um ein zweites Kamerateam und weitere Journalisten angeschwollen. Man formierte sich auf der breiten weißen Freitreppe. Der Milliardär sprach freundliche Worte, sein amerikanischer Akzent verstärkte den Eindruck, dass alles möglich war: Bub ohne Zukunft, Auswanderung, zurück als Milliardär. Das gefiel. Und so erging sich Vogl denn auch über den Leistungswillen und den Glauben an sich selbst, den er den Menschen in Österreich wiedergeben wolle.
Wieder war ein Büffet vorbereitet, diesmal allerdings von deutlich besserer Qualität. Ich nahm mir rasch vom gebeizten Lachs und den mit Shrimps belegten Blätterteigböden. Verstohlen steckte ich zwei Stücke Weißbrot mit einer dicken Schicht Lachs dazwischen in meine Tasche. Vogl hatte wieder mit ostentativem Appetit einen Happen genommen, wieder drängte der Pressesprecher zur Weiterfahrt. Der Milliardär winkte von der Freitreppe zum Abschied.
Droch war zum Auto zurückgekehrt, nachdem der Tross die Treppe hinauf in das Klubhaus gegangen war. Es hätte einen Lift gegeben, aber Droch war es zu mühsam gewesen. Ich stieg ein, er fuhr an. Ich kramte das Lachsbrot aus der Tasche. »Da«, sagte ich.
Er nahm es und biss hinein. »Typisch«, meinte er.
»Was?«, fragte ich.
»Lachsbrot als Versöhnungsangebot.«
»Wer sagt, dass das ein Versöhnungsangebot ist?«
»Ist es das nicht?«
»Vergiss es. Der Milliardär war übrigens gar nicht so übel.«
»Viel Spaß.«
»Man wird immer missverstanden.«
»Arme Mira, lauter alte Männer. Aber wenigstens redet sie wieder.«
»Ach, verdammt, es war hinterhältig von dir, mich da einfach einteilen zu lassen. Und das auch noch durch den Chefredakteur. Autorität, und schon geht alles.«
»Mir ist nichts Besseres eingefallen.«
»Ist ja okay.«
Seit unserem Aufbruch in Wien waren erst drei Stunden vergangen. »Und in dem Tempo geht das weiter?«, fragte ich.
»Politiker leisten eben etwas«, war Drochs unbewegte Antwort. Ein Tal im südlichen Niederösterreich, arbeitslos gewordene Arbeiter. Die Fabrik hatte ihre Produktion nach Asien verlagert. Vogl spendete Trost und kündigte an, den Sozialplan persönlich zu überwachen, aß ein Schmalzbrot und nahm einen Schluck vom angebotenen Schnaps.
Hotel am Semmering. Vogl spulte Teile seiner Tourismusrede herunter, die er schon in Baden gehalten hatte, fügte etwas von der Tradition der alten Eisenbahn über den Semmering und den Herausforderungen des Verkehrs für das
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