Wahn - Duma Key
bedeuteten vierhundert Augen, alle auf mich gerichtet.
Ebenfalls verzichtete ich darauf, Einladungen zu schreiben, im Ritz-Carlton in Sarasota Hotelzimmer für die Nächte zum 16. und 17.April zu reservieren oder eine Gulfstream zu chartern, die eine Gruppe von Freunden und Verwandten aus Minnesota nach Florida bringen sollte.
Der Gedanke, irgendeiner von ihnen könnte ernsthaft meine Klecksereien sehen wollen, erschien mir immer verrückter.
Die Idee, Edgar Freemantle, der noch voriges Jahr mit der Baukommission in St. Paul wegen Probebohrungen in gewachsenem Fels im Clinch gelegen hatte, werde vor einem Haufen wirklicher Kunstfreunde einen Vortrag über Kunst halten, kam mir absolut verrückt vor.
Meine Gemälde schienen jedoch ganz real zu sein, und die Arbeit war … Gott, die Arbeit war wundervoll.Wenn ich bei Sonnenuntergang im Little Pink an meiner Staffelei stand - nur in Shorts und das Radio auf The Bone eingestellt - und beobachtete, wie Mädchen mit Schiff Nr. 7 mit unheimlicher Geschwindigkeit aus dem Weiß hervortrat (wie etwas, das aus einer Nebelbank gleitet), fühlte ich mich vollkommen wach und lebendig: ein Mann, der zur genau rechten Zeit am rechten Ort ist, eine Kugel in einer exakt passenden Fassung. Das Geisterschiff hatte sich ein wenig mehr gedreht; sein Name schien Perse zu sein. Aus einer Laune heraus gab ich dieses Wort bei Google ein und erzielte genau einen Treffer - vermutlich ein Weltrekord. Perse war eine Privatschule in England, deren ehemalige Schüler »Old Perseans« hießen. Von einem Schulschiff, dreimastig oder sonst wie, war nicht die Rede.
In dieser neuesten Fassung trug das Mädchen in dem Ruderboot ein grünes Kleid, dessen Träger sich über seinem bloßen Rücken kreuzten, und war umgeben von Rosen, die das düstere Wasser in weitem Umkreis bedeckten. Ein beunruhigendes Bild.
Auf Strandwanderungen, beim Mittagessen oder bei einem Bier - mit Wireman oder allein - war ich glücklich. Wenn ich Bilder malte, war ich glücklich. Mehr als glücklich. Beim Malen fühlte ich mich vollständig und auf eine grundlegende Weise ausgefüllt, die ich vor meiner Ankunft auf Duma Key nie gekannt hatte. Aber wenn ich an die Ausstellung in der Scoto Gallery und an all das Zeug dachte, das eine Ausstellung neuer Werke erst erfolgreich machte, war mein Verstand sofort blockiert. Es war mehr als Lampenfieber; es fühlte sich wie regelrechte Panik an.
Ich vergaß alles Mögliche - wie E-Mails von Dario, Jimmy oder Alice Aucoin von der Scoto Gallery zu öffnen. Fragte Jack, ob ich aufgeregt sei, weil ich im Geldbart Auditorium der Selby Library »mein Ding machen« dürfe, murmelte ich etwas Zustimmendes, bat ihn dann, den Malibu in Osprey zu betanken, und verdrängte, was er mich gefragt hatte. Als Wireman sich erkundigte, ob ich schon mit Alice Aucoin über die Hängung der Themengruppen gesprochen hatte, schlug ich ein paar Volleys auf dem Tennisplatz vor, weil es Elizabeth Spaß zu machen schien, uns dabei zuzusehen.
Dann, ungefähr eine Woche vor meinem Vortrag, verkündete Wireman, er wolle mir etwas zeigen, das er produziert habe. Etwas Kunsthandwerkliches. »Vielleicht sagst du mir, was du als Künstler davon hältst«, schlug er vor.
Auf dem Tisch im Schatten des gestreiften Sonnenschirms (dessen Einriss Jack mit Isolierband geflickt hatte) lag eine schwarze Mappe. Ich schlug sie auf und nahm etwas heraus, das wie eine Hochglanzbroschüre aussah. Vorn war eines meiner ersten Gemälde - Sonnenuntergang mit Sophora - abgebildet, und ich war überrascht, wie professionell es wirkte. Unter der Reproduktion stand:
Liebe Linnie - damit habe ich mich auf Duma Key befasst, und obwohl ich weiß, dass du schrecklich beschäftigt bist …
Unter beschäftigt bist... verwies ein Pfeil auf die nächste Seite. Ich sah zu Wireman auf, der mich mit ausdrucksloser Miene beobachtete. Hinter ihm starrte Elizabeth über den Golf hinaus. Ich wusste nicht, ob ich über seine Anmaßung eher verärgert oder erleichtert war. Tatsächlich empfand ich beides. Und ich konnte mich nicht erinnern, ihm erzählt zu haben, dass ich meine ältere Tochter manchmal Linnie nannte.
»Du kannst jede Schrift haben, die dir gefällt«, sagte er. »Diese ist mir ein bisschen zu girliehaft, aber meiner Mitarbeiterin gefällt sie. Und die Anrede ist natürlich austauschbar. Den Text kannst du auch anpassen. Das ist das Schöne daran, wenn man solche Entwürfe am Computer macht.«
Ich gab keine Antwort, sondern
Weitere Kostenlose Bücher