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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Rollstuhls der schlafenden alten Frau und drehte ihn um, sodass er wieder den orangeroten Dächern der Hazienda zugewandt war. »Jetzt wollen wir zurückgehen und uns mein Porträt ansehen. Mich interessiert, wie ich ausgesehen habe, als ich noch dachte, Jerry Garcia könnte die Welt retten.«
     
     
     
     
     
     
    II Meinen Malibu hatte ich im Innenhof neben Elizabeth’ silbernem Mercedes aus der Zeit des Vietnamkriegs geparkt. Ich holte das Porträt aus meinem viel bescheideneren Chevrolet, drehte es richtig herum und hielt es hoch, damit Wireman es betrachten konnte. Während er es schweigend begutachtete, hatte ich einen verrückten Gedanken: Ich war wie ein Schneider, der in seinem Atelier neben dem großen Spiegel stand. Bald würde mein Kunde entweder sagen, dass ihm der für ihn angefertigte Maßanzug gefiel, oder bedauernd den Kopf schütteln und verkünden, dieser Anzug sitze leider sehr schlecht.
    Weit im Süden - im Inseldschungel, wie ich ihn bei mir nannte - nahm der Vogel wieder seinen Warnruf »Oh-oh!« auf.
    Schließlich hielt ich es nicht länger aus. »Sag etwas,Wireman. Sag irgendwas.«
    »Ich kann nicht. Ich bin sprachlos.«
    »Du? Unmöglich!«
    Aber als ich von dem Porträt aufsah, merkte ich, dass das stimmte. Er sah aus, als hätte ihm jemand einen Hammer vor die Stirn geschlagen. Ich wusste inzwischen, dass meine Malerei Leute berührte, aber keine ihrer Reaktionen ließ sich mit der Wiremans an diesem Märzmorgen vergleichen.
    Was ihn endlich aufweckte, war ein lautes Klopfen. Es kam von Elizabeth. Sie war wach und klopfte energisch auf ihr Tablett. »Rauchen!«, rief sie. »Rauchen! Rauchen! « Manche Dinge hielten sich anscheinend selbst im Alzheimernebel. Der Teil ihres Gehirns, der nikotinsüchtig war, zeigte nie Ausfallerscheinungen. Sie rauchte bis zum letzten Tag.
    Wireman holte eine Packung American Spirit aus seinen Shorts, schüttelte eine heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie an. Dann hielt er sie ihr hin. »Wenn ich sie Ihnen in die Hand gebe, setzen Sie sich damit nur in Brand, Miss Eastlake.«
    »Rauchen!«
    »Das ist nicht sehr ermutigend, meine Liebe.«
    Aber er gab sie ihr doch, und sie ging - Alzheimer hin oder her - wie ein Profi damit um, machte einen tiefen Zug und stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus. Dann lehnte sie sich in ihren Rollstuhl zurück und sah einen Augenblick lang nicht aus wie Captain Bligh auf dem Achterdeck, sondern wie Franklin D. Roosevelt auf der Tribüne während einer Parade. Sie brauchte nur noch eine Zigarettenspitze, die sie zwischen die Zähne klemmen konnte. Und natürlich ein paar Zähne.
    Wireman sah wieder das Porträt an. »Das willst du nicht im Ernst einfach verschenken, stimmt’s? Das darfst du nicht. Es ist ein unglaubliches Werk!«
    »Es gehört dir«, sagte ich. »Keine Widerrede.«
    »Du musst es mit ausstellen.«
    »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist...«
    »Du hast selbst gesagt, dass sie wahrscheinlich nicht mehr auf das Modell wirken, wenn sie fertig sind...«
    »Ja, wahrscheinlich .«
    »Wahrscheinlich genügt mir, und in der Scoto ist es sicherer als in diesem Haus. Edgar, dieses Bild verdient es, gesehen zu werden. Teufel, es muss gesehen werden.«
    »Bist du das, Wireman?« Ich war ehrlich neugierig.
    »Ja. Nein.« Er betrachtete es noch einen Augenblick länger. Dann wandte er sich mir zu. »Es ist, wie ich hätte sein wollen. Vielleicht wie ich an den wenigen besten Tagen meines besten Jahres war.« Fast widerstrebend fügte er hinzu: »Meines idealistischsten Jahres.«
    Wir schwiegen eine Zeit lang und sahen nur das Porträt an, während Elizabeth qualmte wie eine Tschuff-Tschuff-Eisenbahn. Wie eine alte Tschuff-Tschuff-Eisenbahn.
    Dann sagte Wireman: »Es gibt vieles, zu dem ich Fragen habe, Edgar. Seit ich nach Duma Key gekommen bin, habe ich mehr Fragen als einVierjähriger beim Zubettgehen. Aber was mich überhaupt nicht wundert, ist die Tatsache, dass du hierbleiben willst. Wenn ich solche Kunstwerke schaffen könnte, würde ich ewig auf der Insel bleiben wollen.«
    »Letztes Jahr um diese Zeit habe ich am Telefon in Warteschleifen noch Strichmännchen gezeichnet«, sagte ich.
    »Richtig, das hast du mir erzählt. Aber mich interessiert etwas anderes, muchacho .Wenn du dieses Bild siehst … und an all die anderen denkst, die du schon gemalt hast... würdest du da den Unfall, der dich den rechten Arm gekostet hat, ungeschehen machen wollen? Tätest du das, wenn du es

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