Wahn - Duma Key
einer schönen Frau.
Die erste Villa Heron’s Roost war ganz anders. Wie Elizabeth’ Landsitz aus Porzellan besaß sie ein Säulenvordach und eine einladend großzügige Veranda. Eine breite Einfahrt, die ungefähr einen Hektar Rasenfläche zu teilen schien, führte in kühnem Schwung bis vors Haus. Bestreut war sie übrigens nicht mit Kies, wie Mary Ire mir erzählt hatte, sondern mit rosafarbenen Muschelsplittern. Das Original hatte die Welt willkommen geheißen. Sein Nachfolger - der Palacio - forderte die Welt auf, sich gefälligst fernzuhalten. Ilse hatte das sofort erkannt, und mir war es ebenfalls bewusst gewesen, aber an jenem Tag hatten wir die Villa von der Straße aus gesehen. Seither hatte meine Auffassung sich aus gutem Grund geändert: Ich hatte mich daran gewöhnt, sie vom Strand aus zu sehen. Mich ihr von der ungepanzerten Seite zu nähern.
Der ursprüngliche Landsitz war auch höher gewesen, vorn zweistöckig, hinten dreistöckig, sodass seine Bewohner - wenn er tatsächlich wie in Marys Beschreibung auf einer kleinen Anhöhe gestanden hatte - aus dem obersten Stock einen atemberaubenden Rundblick auf den Golf, das Festland, Casey Key und Don Pedro Island genossen haben mussten. Nicht übel. Aber der Rasen war eigenartig zerzaust - ungepflegt -, und die Zeilen der wie Hulamädchen auf beiden Seiten des Hauses aufgereihten Zierpalmen wiesen Lücken auf. Ich sah genauer hin und stellte fest, dass einige der Fenster in den oberen Stockwerken mit Brettern vernagelt waren. Auch der Dachfirst wirkte merkwürdig unausgeglichen. Ich brauchte eine Sekunde, um den Grund dafür zu erkennen. Am Ostende ragte ein Schornstein auf. Am Westende hätte sich ein zweiter Kamin befinden sollen, aber dieser fehlte.
»War das Haus damals schon verlassen?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Shannington sagt, die Aufnahme sei im März 1927 gemacht worden, bevor die kleinen Mädchen ertrunken sind, als alle noch glücklich und wohlauf waren. Was du hier siehst, ist keine Vernachlässigung - das sind Sturmschäden. Von einer Alice.«
»Von einer was?«
»Die offizielle Hurrikansaison beginnt hierzulande am fünfzehnten Juni und dauert ungefähr fünf Monate. Außerhalb der Saison auftretende Stürme mit sintflutartigem Regen und hohen Windgeschwindigkeiten … für die Alteingesessenen ist jeder eine Alice. Wie in Wirbelsturm Alice. Das ist eine Art Scherz.«
»Das hast du dir selbst ausgedacht.«
»Keineswegs. Esther - der große Hurrikan 1926 - hat Duma Key ungeschoren gelassen, aber die Alice im März 1927 hat es ziemlich mittschiffs getroffen. Dann ist sie landeinwärts weitergezogen und in den Everglades ertrunken. Sie hat die auf diesem Bild dokumentierten Schäden angerichtet - an sich nicht viele: einige Palmen entwurzelt, ein paar Fenster eingedrückt, den Rasen aufgewühlt. Aber in anderer Beziehung sind ihre Auswirkungen noch heute zu spüren. Weil mit einiger Sicherheit davon auszugehen ist, dass diese Alice dazu geführt hat, dass Laura und Tessie ertranken - und daraus hat sich alles andere entwickelt. Auch dass wir in diesem Augenblick hier stehen.«
»Das musst du mir erklären.«
»Erkennst du die wieder?«
Er nahm eine weitere Fotografie aus dem Ordner, und ich erkannte sie natürlich wieder. Das große Foto hing gerahmt auf dem Treppenabsatz im ersten Stock. Dies war ein kleinerer, schärferer Abzug. Er zeigte die Familie Eastlake, die sich um John Eastlake scharte, der einen schwarzen Badeanzug trug und wie ein zweitklassiger Hollywoodschauspieler aussah, der vielleicht auf Kriminalfilme und Dschungelabenteuer spezialisiert war. Er hielt Elizabeth auf dem Arm. Eine Hand umfasste ihren dicken kleinen Po. In der anderen hielt er die Harpunenpistole und eine Tauchermaske mit daran befestigtem Schnorchel.
»Allein nach Elizabeth zu urteilen, würde ich vermuten, dass diese Aufnahme aus dem Jahr 1925 stammt«, sagte Wireman. »Sie sieht aus wie eine Zweijährige, die bald drei wird. Und Adriana...« Er tippte auf die Älteste. »… könnte eine Siebzehnjährige sein, die auf die vierunddreißig zugeht, findest du nicht auch?«
Er hatte recht. Siebzehn und voll entwickelt, selbst in ihrem fast alles bedeckenden Badeanzug.
»Sie hat auch schon diesen mürrischen, schmollenden Ich-wäre-lieber-woanders-Gesichtsausdruck«, sagte Wireman. »Ich frage mich, wie überrascht ihr Vater war, als sie mit einem seiner Betriebsleiter durchgebrannt ist. Und ich frage mich, ob er in seinem Innersten
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